18.10.2018

Abschied von Kirche, wie wir sie kennen

Bischof Dr. Michael Wüstenberg sagte beim Forum Weltkirche: „Unsere Aufgabe ist es, dass sich Menschen entfalten können. Manche Ämter haben sich hingegen durch den Erfindungsgeist der Kirche entfaltet.“ Dr. Hadwig Müller (kleines Foto) sagte: „Wir müssen uns vergewissern, was uns als Christen ausmacht.“ Fotos: Bock

Bestwig. „Es wird Zeit, Abschied zu nehmen von der Kirche, wie wir sie kannten.“ Das sagte die Pastoraltheologin Dr. Hadwig Müller beim Forum Weltkirche im Bergkloster Bestwig und forderte damit nicht nur ein Umdenken in der Kirche, sondern auch in den Köpfen jedes einzelnen Christen. „Wir müssen weg von dem Anspruch, für alle Milieus Angebote zu machen. Wir müssen die Welt und den Menschen suchen, objektive Erkenntnisse durch subjektive Gewissheit ersetzen“, so die Freiburgerin.

In ihrem Vortrag erklärte sie, dass es gut gewesen sei, die Kirche – wie sie war – in den vergangenen Jahrzehnten gehabt zu haben. Aber in dieser Form gehöre ihr nicht mehr die Zukunft. Dabei spricht sie auch aus ihrer zehnjährigen Erfahrung in der Arbeit mit Kleingemeinden und Frauengruppen in Brasilien, die eigene Wege finden, ihren Glauben zu leben. „In der verfassten Kirche ist alles mit dem Anspruch verbunden, die Wahrheit zu kennen und Wissen zu vermitteln. Jetzt aber müssen wir lernen, jedes Wissen für ein Nichtwissen zu öffnen.“

Denn man müsse alles infrage stellen, was bisher als unumstößlich galt. „Statistiken und Studien helfen uns dabei nicht. Es wird erhoben, was vergeht. Aber nicht, was im Werden ist.“ Das sei vergleichbar mit dem Werden eines Kindes. „Wenn die Eltern schon Pläne für ihr Kind haben, wird es ihm schwerer fallen, seinen eigenen Weg zu gehen und seine Fähigkeiten zu entfalten.“ Deshalb seien Christen angehalten, eine neue Dynamik zuzulassen „und da Bewegung zu schaffen, wo die Quelle des Lebens hervortritt“.

Diese Thesen bildeten die Basis einer interessanten Diskussionsrunde, an der auch der emeritierte Bischof Dr. Michael Wüstenberg und die Pastoralreferentin Schwester Sigrid Maria Hoves teilnahmen. Die Moderation übernahm der Leiter des Referates Weltmission-Entwicklung-­Frieden beim Erzbistum Paderborn, Ulrich Klauke.

Michael Wüstenberg leitete zehn Jahre lang die Diözese Aliwal in Südafrika: „Wenn eine Gemeinde dort drei Priester für 23 Orte hat, heißt das natürlich, dass wir Laien Leitung übertragen. Und dass wir Laien auch zugestehen, ihre eigenen Ideen zu entwickeln.“ Schließlich habe die Urkirche genauso angefangen, die noch keine Priesterweihe kannte. „Die Unterscheidung von Haupt-, Neben- und Ehrenamtlichen ist unsinnig“, bekannte der Bischof unter Applaus. Die Christen müssten sich auf Augenhöhe begegnen. Schließlich spreche die Liturgie schon jedem Täufling zu, Anteil an Christus zu haben, der Priester, König und Prophet sei.

Wie der Weg zu einer neuen Kirche hierzulande aussehen kann, zeigte Schwester Sigrid Maria, die als Pastoralreferentin in Essen-Steele arbeitet: „Da fahren wir mit einer Rikscha von unserer Kleiderkirche aus auf die Wochenmärkte und bieten für kleines Geld Kleidung an. Wir schaffen Begegnungen. Und so, wie wir den Menschen offene Augen und ein offenes Herz schenken, schenken sie uns das zurück.“

Schwester Sigrid Maria stellt fest, dass sich mit einem solchen Projekt viel bewegen lässt: „Die Aktiven sind mit Begeisterung dabei und wollen etwas verändern.“ Keiner wolle sich heute mehr für 20 Jahre an einen Kirchenvorstand binden – „aber diese Initiative, bei der man unverbindlicher einsteigen und mitarbeiten kann, tragen ganz viele mit“. Und so entstehe vielleicht eine neue Gemeinde.

Rausgehen und auf die Menschen zugehen: Das tut auch die Missionsprokuratorin der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel, Schwester Klara Maria Breuer, bei ihrer Obdachlosenpastoral in Münster.

Hadwig Müller machte deutlich, dass sie den Kundschaftern einer Kirche begegne, die wir noch nicht kennen: „Denn jede Begegnung mit einem anderen Menschen – ob Christ oder nicht – wird zu einer Quelle von Lebendigkeit, die beide Seiten verändert.“ Beide seien Suchende, beide Empfangende. Bisher sei das nicht unbedingt das Selbstverständnis der Kirche.

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