05.01.2018

Andere Art des Christseins

Marcel Fischer während des Ehemaligentreffens in Berlin. Foto: Herrmann

Uppsala. „Mose ging mit seiner Herde hinaus in die Steppe, weiter hinaus als sonst und stieß dort, völlig unerwartet, auf den brennenden Dornbusch.“ Mit dem Bild aus dem Buch Exo­dus bereitet Schwester Margit Forster 16 junge Frauen und Männer auf die kommenden zwei Stunden vor. Gleich wird die Ordensfrau alle hinausschicken, damit sie auf den Straßen Berlins Gott suchen. „Seid aufmerksam! Ihr wisst nicht, was euch heute hier auf der Straße begegnet.“

von Alfred Herrmann

Die Comboni-Missionsschwester öffnet den jungen Erwachsenen, die sich an diesem Samstagnachmittag im Saal des Internationalen Pastoralen Zentrums in Berlin-­Neukölln versammelt haben, den spirituellen Weg der Straßenexerzitien. Aufmerksam sollen sie sich den Zufälligkeiten der Straße stellen und dabei achtsam in sich hineinspüren, fühlen, was sie bewegt – ob sie Gott bewegt. „Gott kann auf jeden Einzelnen mit seinem Ruf an ganz unterschiedlichen Orten warten, im Jobcenter, an einem Flussufer, an einem Denkmal“, erklärt Schwester Margit.

Dabei ist es den jugendlichen Frauen und Männern, die aus ganz Deutschland hier zusammengekommen sind, nicht neu, in die Welt hinauszugehen, um aufmerksam all das wahrzunehmen, was ihnen an Neuem und Ungewohntem begegnet. Sie alle haben in den letzten zwei Jahren mit dem Freiwilligendienst des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken ein mehrmonatiges Praktikum in Nordeuropa absolviert, in Oslo und Stockholm, in Vadstena und Uppsala. In Berlin treffen sie sich nun für ein Wochenende, um sich wiederzusehen und sich über ihre Erfahrungen auszutauschen.

Marcel Fischer kam erst im Juli aus Schweden zurück. Der Paderborner Theologiestudent nutzte sein Freijahr, um ein neues Land, eine fremde Sprache, eine andere kirchliche Situation zu entdecken. „Einem meiner Mitbrüder kam die Idee und ich habe spontan Ja gesagt: Warum soll ich in Schweden nicht die gleichen Erfahrungen machen wie in Toulouse, Paris oder Granada“, erzählt der 24-jährige Priesteramtskandidat. „Ich habe das Ganz-andere gesucht, was sich völlig von meiner Lebenswirklichkeit unterscheidet, und das habe ich in Uppsala gefunden.“

Als Partner suchte sich Fischer das Bonifatiuswerk und bewarb sich um ein „Praktikum im Norden“. Neben dem Studium am Newman-Institut, einer Hochschule der Jesuiten, arbeitete er daher als Praktikant in einem Secondhand­shop und unterstützte die Katolska Pedagogiska Nämnden (KPN), die pädagogisch-­katechetische Abteilung des Bistums Stockholm. Ganz nebenbei lernte er Schwedisch.

„Die katholische Welt ist in Schweden eine ganz andere, die Art, wie die Menschen miteinander umgehen, die Art des Christseins“, berichtet Fischer, „dort wird noch Gemeinschaft gelebt, das Leben wirklich miteinander geteilt – in Deutschland habe ich das so noch nicht erlebt.“

Anders als in seinem Studienort Paderborn leben katholische Christen in Nordeuropa in extremer Diaspora. Ihr Anteil an der Bevölkerung liegt zwischen 0,2 und 3 Prozent. „Die Situation, nur eine sehr kleine Minderheit in der Gesellschaft zu sein, formt natürlich die Kirche in Schweden und ich finde, wir können davon eine ganze Menge lernen“, erzählt Fischer von seiner persönlichen Diaspora-­Erfahrung. „Wir hängen in der deutschen Kirche zu sehr an den materiellen Dingen. Davon hat die Kirche in Schweden kaum etwas, sie ist arm, dafür hat sie allerdings eine lebendige Hoffnung.“

„Wir wollen mit dem Programm junge Christen mit der Situation der katholischen Kirche in Nordeuropa in Berührung bringen“, erklärt Julia Jesse, Referentin missionarische und diakonische Pastoral im Bonifatiuswerk. In der ex­tremen Diaspora-Situation böten sich ganz neue Erfahrungen in Sachen Glaube und Spiritualität als in katholisch geprägtem Umfeld. „Unsere Praktikantinnen und Praktikanten bekommen hautnah mit, wie Kirche auch anders funktionieren kann.“

Seit nunmehr fünf Jahren entsendet der Freiwilligendienst des Bonifatiuswerkes im Rahmen des Programmes „Praktikum im Norden“ junge Erwachsene für 3 bis 18 Monate nach Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland, Island, Estland und Lettland. Zweimal im Jahr machen sich Frauen und Männer ab 18 Jahren auf in die nordische Diaspora. Für einen Start im ersten Halbjahr gilt es, sich bis zum 31. August und für einen Start im zweiten Halbjahr bis zum 31. Dezember des jeweils vo­rangehenden Jahres zu bewerben. Das Bonifatiuswerk, das Unterbringung und 50 Prozent der Reisekosten finanziert, vergibt rund 20 Plätze pro Jahr.

„Der Stellenwert christlicher Hoffnung in meinem Leben hat sich verändert, ich bin offener für Begegnungen geworden, offener, mich von anderen inspirieren zu lassen und in dem anderen, der so ganz anders ist als ich, Christus zu entdecken.“ Noch immer zeigt sich Fischer tief bewegt von den zahlreichen Begegnungen. Er gibt sich tief beeindruckt von „der Überzeugungskraft, der Authentizität und Glaubensstärke“ der Katholiken, die in Nordeuropa in der Diaspora leben.

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