13.12.2018

Der Pfleger von morgen?

Großes Foto: Der Roboter „Pepper“ wird für den Einsatz im Pflegeheim programmiert. Doch eine Maschine kann menschliche Zuwendung nicht ersetzen Foto: Alex Knight / unsplash
Kleines Foto: Ägidius Engel, Referent für Ethische Bildung beim Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Paderborn. Foto: Sauer / cpd

Erzbistum. Kümmert sich der Online-Versandhändler bald auch um das passende Pflegeangebot für die Oma? Entfällt die nervige Suche nach dem Kita-Platz für die Jüngsten dank lokaler Betreuungsplattformen? Kann der demenzkranke Nachbar aufgrund intelligenter Haustechnik weiterhin allein in der eigenen Wohnung leben, ohne sich und andere zu gefährden – und sogar die geliebten Waldspaziergänge genießen, weil er jederzeit per GPS-Sensor auffindbar ist? Mit solchen Fragen der Digitalisierung befasste sich der zwölfte Caritas-Diskurs Ethik des Diözesan-Caritasverbandes. Ägidius Engel, Referent für Ethische Bildung beim Caritasverband für das Erzbistum Paderborn e. V., erläutert im Interview mit Matthias Nückel Ergebnisse des Forums.

Herr Engel, die Digitalisierung macht vielen Menschen Angst. Warum beschäftigt sich nun auch der Caritasverband mit dem Thema?

Die Digitalisierung verändert die Welt als Ganzes und radikal. Unser Leben, unsere Arbeitswelt, auch das private Zusammensein wird zunehmend technisch umhüllt und zur digitalen Infosphäre. Da wird so manchem angst und bange. Schauen Sie nur auf den Siegeszug des inzwischen allgegenwärtigen Handys. Das Smartphone hat die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, völlig verändert. Dabei ist klar: Der Rie­sen­erfolg ist nicht nur zum Guten. Maschinelles Lernen, Big-Data-Strukturen und Robotic werden darüber hinaus immer nachdrücklicher Chance und Herausforderung sein. Die Caritas als soziale Dienstleisterin kann gar nicht umhin, in dieser technischen und gesellschaftlichen Gemenge­lage nicht zu agieren. Sie ist Anwältin der Menschen, besonders derer, die bei den Erfolgs- und Verdrängungsgeschichten der digitalen Transformation bedroht sind und aus der neuen digitalen Mitte herausfallen.

Bei der Tagung in Schwerte ging es auch um die Digitalisierung in der Pflege. Was waren die Kernthesen?

Der Theologe und Ethiker Prof. Arne Manzeschke aus Nürnberg hat bei der Tagung höchst beeindruckend einige Linien gezogen. Ausgehend vom Gleichnis des barmherzigen Samariters (Lk 10,2537) stellt sich für ihn ganz zentral die Frage, was das Wesentliche der Pflege ist und wie diese Würde wahrend geschieht. Nach Aussage von Manzeschke ist Pflege vor allem „Helfen aus Berührtsein“. Diese konkrete, lebendige, achtsame und menschennahe Hilfe unterscheidet er von technischen Assistenzsystemen. Digitale Pflegearrangements und technische Hilfen dürfen sein. Aber die digitalen Doubles und Schatten und Maschinen sind nicht das Wesentliche der Pflege. Ethik fragt immer, wer und was wir als Mensch sind. Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Digitalisierung in der Pflege sind die riesigen Datenmengen, die inzwischen im Gesundheitsbereich gesammelt, vernetzt und bewertet werden. Manzeschke warnte davor, dass Daten zum Eingangspunkt für Entscheidungen für und über Menschen werden.

Werden wir künftig von Robotern gepflegt und ist damit das Problem des Mangels an Pflegekräften gelöst?

Gott bewahre. Bei aller Euphorie über die Fortschritte in der künstlichen Intelligenz sind wir noch meilenweit entfernt davon, dass Roboter uns pflegen. Hier greift wieder die Ethik: Wäre das eine wünschenswerte Entwicklung? Ist das die Vision, wie wir leben wollen? Ich glaube, niemand hat ein ernsthaftes Interesse daran, einem anonymen digitalen Automaten gegenüberzustehen, der Gefühle simuliert. Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Der Operationsroboter, der Hüftprothesen genauer einsetzt oder den Chirurgen hilft, Patienten mit Prostata-Karzinom die Potenz zu erhalten, sind Segen und nicht Fluch. Und eine Pflegerin mit 60 Kilo wird dankbar sein für ein Assistenzsystem, das einen 120-Kilo-­Menschen aus dem Bett heben hilft. Die Frage ist immer: Welches Ziel wird mit der digitalen bzw. maschinellen Assistenz verfolgt? Dient es dem Wohl des Patienten? Auch hinsichtlich des Pflegekräftemangels ist das die Kernfrage. Wenn Menschen, beispielsweise Demenzkranke, mittels Digitalisierung nur ruhiggestellt werden sollen und zudem total überwacht sind, ohne Souverän der eigenen Daten zu sein, ist das kritisch zu hinterfragen. Die Digitalisierung löst also die Pflegekatas­trophe nicht. Sie macht jedoch viele Tätigkeiten effizienter, schneller, ökonomischer und kann eine smarte Hilfe sein.

Im Moment scheint es so, dass wir von der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz (KI) überrollt werden. China und die USA sind schon sehr weit bei dem Thema, ebenso einige deutsche Unternehmen. Die Politik befasst sich erst jetzt damit. Besteht die Gefahr, dass Fakten geschaffen werden, ohne dass ethische Grundregeln beachtet werden?

Das kann ich mir für Deutschland nicht vorstellen. Sicher werden wir in den nächsten Jahren global eine Menge Disruptionen erleben: Plattformlösungen, Crowdworking und der Kampf um digitale Talente werden zunehmen. Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts. Deutschland steht bei den ethischen Grundregeln und im Wettbewerb der Wertesysteme sehr gut da. Datenschutz und informationelle Freiheitsgestaltung haben einen hohen, auch rechtlichen Stellenwert. Unruhig werde ich viel eher bei dem angekündigten sozialen Bewertungs- und Überwachungssystem in China. Hier wird der einzelne Mensch algorithmisch kontrolliert und dann über ein Punktesystem bewertet, dass es einen schaudert. Aber wir müssen aufpassen. Die softwaregesteuerten Optimierungsmaschinen bedrohen an allen Ecken und Enden unsere Freiheitsrechte, die wir aus Bequemlichkeit viel zu leichtfertig aus der Hand geben.

Wer kann und muss denn ethische Regeln aufstellen?

Wir brauchen sachgerechte und moralisch angemessene Antworten auf die Veränderungen durch die digitale Transformation. Normfindung und -begründung sind zunächst dezidiert Aufgabe der Ethik. Hier sind beispielsweise die Bereichsethiken gefragt, also Fachleute aus der Medizin- und auch der Technikethik. Gerade für die Einschätzungen des Wertes, aber auch der Grenzen des digitalen Fortschritts sind die Geisteswissenschaften wichtige Gesprächspartner. Philosophie, Sozialethik und katholische Moraltheologie kennen die harte Arbeit am Begriff und haben große Erfahrung bei anthropologischen Fragen, die jetzt wieder neu hochkochen. Der Mensch ist moralisch gebrechlich. Gerade in verstörenden Zeiten braucht er gut begründete Regeln als stützende und entlastende Funktion. Hier muss auch die Kirche unbedingt nach vorne gehen und die Zeichen der Zeit deuten. Die Digitalisierung wird inzwischen als neue soziale Frage des 21. Jahrhunderts gesehen. Ich möchte nicht kulturpessimistisch sein, aber wir brauchen eine Soziallehre 4.0, um in Zeiten der Digitalisierung menschlich bleiben zu können.

Für die Kirche steht immer der Mensch im Mittelpunkt. Was können Verbände wie die Caritas tun, damit dies auch bei der Digitalisierung so bleibt?

Die Caritas mit ihren Einrichtungen und Fachverbänden muss digital anschlussfähig bleiben, Maßnahmenbündel schnüren und die technischen Veränderungen sozial mitgestalten. Das geschieht schon auf verschiedenen Ebenen. Es gibt die aktive verbandliche Einmischung in die Digitalstrategien von Bund, Ländern und Gemeinden, damit die Angebote der Caritas abgesichert, sichtbar und wertgeschätzt bleiben. Es gibt Arbeitsgruppen, Digital-­Beauftragte und Projekte, die IT-­Architekturen und IT-­Management vorantreiben. Es gibt schon vielerorts Smarthome-­Komponenten über die eminent wichtigen Hausnotrufsysteme hinaus. Wir dürfen aber mit Technik, Ethik und Ethos den einzelnen Menschen nicht überfordern. Algorithmengesteuerte Märkte und datenhungrige Plattformkonzerne brauchen ein politisch starkes Gegen­gewicht und sollten etwa mit Positionspapieren und gesetzlichen Regelungen unter Begründungszwang gesetzt werden. Ich bin mir sicher: Die Vorteile der Digitalisierung werden langfristig die Nachteile überwiegen. Sehr schön war das bei der Tagung in Schwerte zu sehen. Seit über zehn Jahren arbeitet das Sozial­werk St. Georg Niederrhein mit technischen Unterstützungssystemen bei Menschen mit Demenz. Die vorgestellten Praxisbeispiele und ethischen Grundhaltungen, die den Menschen fundamental in den Mittelpunkt stellen, haben uns alle beeindruckt. Eine Verbesserung des Betreuungsprozesses ist mit digitalen Assistenzsystemen möglich, wenn menschliche Zuwendung und Wärme in der Betreuung und Pflege absolute Priorität im Sinne einer Ethik der Achtsamkeit hat.

 

 

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