13.11.2015

Die Gefahr der Selbstverständlichkeit

Als „Otto Normalverbraucherin“ zeigt Hildegard Schäfer, was alles weggeworfen wird, obwohl es noch funktionsfähig ist.

Bestwig. Was können wir als Verbraucher für mehr Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der einen Welt tun? Diese Frage stellten sich die Teilnehmer des fünften Missionarischen Forums im Berg­kloster Bestwig. Die Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel, die Bergkloster Stiftung SMMP und das Diözesankomitee des Erzbistums Paderborn hatten gemeinsam dazu eingeladen.

Die Referentin des Projektes „Faire Gemeinde“ im Erzbistum Paderborn, Hildegard Schäfer, führte ihnen in ihrem Eingangsreferat vor Augen, wieviel die Deutschen im Laufe eines Jahres wegwerfen: „Im Durchschnitt sind das pro Kopf rund 500 Kilogramm, also 1,4 Kilo am Tag. Darunter auch elf Kilo Kleidung, weil sie vielleicht nicht mehr der Mode entspricht. Dabei werden für den Anbau und die Verarbeitung von 1 000 Gramm Baumwolle 25 000 Li ter Wasser verbraucht.“ Ähnliche Bilanzen machte sie für Lebensmittel auf: „10 bis 20 Prozent des gebackenen Brotes werden in Deutschland täglich weggeworfen.“ Aber Bäcker, die ihre Ware in Supermärkten anbieten, müssten laut Vertrag oft bis 18.30 Uhr volle Regale vorweisen.“

Anja und Marius Pötting versuchen einen anderen Weg. Sie betreiben den Vausshof in Scharmede, einen Bio-Betrieb, den sie als Genossenschaft organisieren. „Wir schlachten nur, was bei uns geboren werde, und wir verfüttern nur, was hier gewachsen ist“, betonte Marius Pötting. Ein Modell, das vom Aufwand und von der Effizienz gar nicht viel schlechter abschneiden müsse als das der Massentierhaltung – „wenn man vor allem die Transportwege und die entstehenden Probleme bei der Massentierhaltung einbezieht.“ Ähnlich sei es beim Anbau der Pflanzen. Und auch Peter Loose, Leiter der Reparatur- und Renovierungs-AG am Walburgisgymnasium und an der Walburgisrealschule in Menden, rät zu mehr Achtsamkeit. „Neulich bekamen wir einen DVD-Player, der weggeworfen werden sollte, weil er das Fach nicht mehr öffnete. Dabei musste nur ein Schalter etwas unterfüttert werden, damit er wieder Kontakt bekommt.“ Kosten: Keine. Der Religions- und Geschichtslehrer schraubt mit seinen Schülern die Geräte auf und durchsucht sie zunächst von allen Seiten. Das mache die Jugendlichen neugierig: „Sie wollen wissen, warum das nicht funktioniert – und wie es überhaupt funktioniert. Eine Kompetenz, die in der Wegwerfgesellschaft kaum noch gefragt ist.“

Noch vor einigen Jahrzehnten habe man 40 Prozent des Einkommens für Lebensmittel aufgewendet. „Heute sind es 13 Prozent“, rechnete Hildegard Schäfer vor. Auch Kleidung sei im Vergleich viel preiswerter. Das sei nur möglich, weil wir auf Kosten armer Länder wirtschafteten. „Der Einsturz der Nähfabrik in Bangladesch vor zwei Jahren hat uns das eindrucksvoll vor Augen geführt.“ Doch der Lern­effekt bliebe aus. Papst Franziskus warne in seiner neuen Enzyklika „Laudato Si“ ausdrücklich: „Die Nahrung, die wir wegwerfen, wird vom Tisch der Armen geraubt.“

Um erlebbar zu machen, woher unsere Nahrungsmittel kommen und ihnen mehr Wertschätzung entgegenzubringen, lädt Anja Pötting vor allem Kinder und Jugendliche auf den Vausshof ein. „Eure Hühner legen ja gekochte Eier“, habe ein Kind gestaunt, als das Ei, das die Henne hinterlassen hatte, noch warm war. Und eine Gruppe von Koreanern habe zum ersten Mal eine Birne vom Baum gepflückt und kaum glauben können, dass man die sofort essen kann. Diese Beispiele zeigten, was man verändern und wie man sich für Nachhaltigkeit engagieren kann. „Die Kirchen können da mit gutem Beispiel vorangehen“, betonte Hildegard Schäfer – „denn sie sind der zweitgrößte Konsument, kaufen jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von 40 bis 80 Milliarden Euro.“ Auch das Bergkloster geht in diese Richtung und hat sich deshalb für die Zertifizierung zur „fairen Gemeinde“ beworben.

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