01.09.2016

Die Heilige aus den Slums

Mutter Teresa, wie viele Menschen sie in Erinnerung haben. Foto: kna

Rom (KNA). Wer an Mutter Teresa denkt, hat ein ganz bestimmtes Bild vor Augen: eine kleine, gebückte Frau in weißblauem Gewand, die Hände gefaltet, das Gesicht zerfurcht. Viele Menschen haben den „Engel von Kalkutta“ schon zu Lebzeiten wie eine Heilige verehrt. Nun wird die berühmte Missionsschwester wie erwartet am 4. September heiliggesprochen, 19 Jahre nach ihrem Tod. Papst Franziskus leitet den Festakt auf dem Petersplatz in Rom.

Von Norbert Demuth

Auch wenn das überlebensgroße Bild der Ordensfrau in den vergangenen Jahren ein paar Kratzer bekam: Mutter Teresas Strahlkraft ist bis heute ungebrochen. Das zeigte sich etwa im September 2015, als das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Kanzlerin Angela Merkel angesichts ihres Handelns in der Flüchtlingskrise als „Mutter Angela“ auf den Titel brachte.

Mutter Teresa wurde am 26. August 1910 als Agnes Gon­xha Bojaxhiu in Skopje, im heutigen Mazedonien, geboren. Schon mit 18 Jahren ging sie als Missionsschwester nach Indien und arbeitete dort – wie viele Missionarinnen – als Lehrerin. Ihr Weg bis hin zur Direktorin einer Mädchenschule schien vorgezeichnet. Doch täglich begegneten ihr in Kalkutta Bettler, ausgemergelte und kranke Menschen. Sie sah Kinder, die ausgesetzt wurden. Eine „Damaskus-Stunde“ beendete ihr normales Leben als Missionarin. „Gott rief mich“, sagte sie. Bewegt vom Elend in den Slums von Kalkutta verließ sie 1948 ihr Kloster und gründete eine eigene Ordensgemeinschaft.

Dennoch war ihre Frömmigkeit offenbar nicht unerschütterlich, wie private Notizen und vertrauliche Briefwechsel offenbarten, die erst 2007 veröffentlicht wurden. Ein ganzes Jahrzehnt lang durchlitt die Ordensfrau demnach quälende seelische Einsamkeit und schmerzhafte Zweifel an ihrer Mission. Die „Missionarinnen der Nächstenliebe“ widmeten sich den Ärmsten, den Findelkindern und den Sterbenden auf der Straße. Immer mehr junge Frauen, zunächst in Indien und später auf allen Kontinenten, schlossen sich ihrem Orden an.

1979 wurde Mutter Teresa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Wenn nach Vorbildern gefragt wurde, stand ihr Name meist auf den vorderen Plätzen. Für unzählige Menschen war Mutter Teresa ein weltweites Symbol für christliche Nächstenliebe.

2013 veröffentlichten dann deutsche Medien wie die „Zeit“, die „Süddeutsche Zeitung“ oder die „Welt“ kritische Berichte. Anlass war eine umfangreiche Studie zum Leben der berühmten Missionsschwester. Drei kanadische Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis, in den Armenhäusern des Ordens hätten schlechte hygienische Zustände geherrscht. Sterbenden seien teilweise Schmerzmittel verweigert worden. Mutter Teresa sei sogar „alles andere als eine Heilige“, bilanzierte der Leiter der Studie, der Psychologieprofessor Serge Larivee von der Universität Montreal.

Bei ihrem Tod am 5. September 1997 im Alter von 87 Jahren war die Trauer weltweit groß. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) nannte sie „ein Geschenk an die Kirche und an die Welt“. Bereits sechs Jahre später, am 19. Oktober 2003, sprach er Mutter Teresa vor rund 300 000 Menschen in Rom selig.

Am Tag vor ihrem 19. Todestag gelangt sie nun zu höchsten Kirchenehren. Mutter Teresa wird dann eine von mehr als 6 600 Heiligen der römisch-­katholischen Kirche sein. Im Dezember 2015 hatte Papst Franziskus die wissenschaftlich nicht erklärbare Heilung eines an einem bösartigen Hirntumor leidenden Brasilianers im Jahr 2008 als zweites Wunder auf Fürsprache von Mutter Teresa anerkannt – eine kirchenrechtliche Voraussetzung.

Als Franziskus im März vier im Jemen ermordete Mutter-­Teresa-Schwestern würdigte, betete er bereits in bemerkenswerten Worten: „Mutter Teresa begleite diese ihre Töchter und Märtyrer der Nächstenliebe ins Paradies.“ Dem Initiator des Heiligsprechungsverfahrens war es nicht mehr vergönnt, den Festakt am 4. September mitzuerleben: Der emeritierte Erzbischof Henry Sebastian DSouza von Kalkutta, ein enger Vertrauter Mutter Teresas, starb Ende Juni dieses Jahres im Alter von 90 Jahren.

Weitere Texte und Fotos finden Sie in der DOM-Ausgabe Nr. 36 vom 4. September 2016

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