09.08.2018

„Erst der Wahlkreis, dann Berlin!“

Landvolkkundgebung zu Libori (v. l.): Paderborns Bürgermeister Michael Dreier, Erzbischof Hans-­Josef Becker, Dr. Carsten Linnemann MdB, Kornelia Wagner (Bezirksvorsitzende Westfälisch-­Lippischer Landfrauenverband in OWL), Mon­signore Uwe Wischkony (Direktor der Landvolkshochschule Hardehausen) und Landrat Friedhelm Spieker (Kreis Höxter). Foto: Wiedenhaus

Paderborn. „Volkswirtschaftlich geht es uns gut, doch die individuellen Sorgen nehmen zu!“ In seiner Festrede bei der Libori-Landvolkkundgebung brachte Dr. Carsten Linnemann, CDU-Bundestagsabgeordneter und stellvertretender CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender, die aktuelle tief greifende Verunsicherung in der Bevölkerung auf einen kurzen Nenner: „Für Eltern lautet die zentrale Frage, ob es den Kindern einmal besser gehen wird.“

von Andreas Wiedenhaus

„Immer schneller, immer kürzer, immer mehr“, war Linnemanns Rede in der voll besetzten Paderborner Schützenhalle überschrieben: „Politik in Zeiten zunehmender Beschleunigung und Unsicherheit“. Der aktuelle Vertrauensverlust in die Politik sei nicht wegzudiskutieren, sondern real, so der aus Schwaney stammende Politiker: „Der Rechtsstaat wird geschätzt, aber die Bürger erwarten auch seine Durchsetzung!“ Dies gelte gerade in einer Zeit, in der durch die digitale Revolution in manchen Bereichen kein Stein mehr auf dem anderen bleibe: „Wir sind ständig online und permanent in Alarmbereitschaft, die realen Begegnungen werden weniger, Ruhe gibt es nicht mehr!“

Statt die aktuell viel gescholtenen „Populisten“ für die Vertrauenskrise verantwortlich zu machen, nahm der CDU-Wirtschaftsfachmann die eigene Zunft in die Pflicht: Die Politiker müssten das „Raumschiff Berlin“ verlassen, um wirklich zu wissen, was im Leben der Menschen passiert: „In Berlin findet die Realität nicht statt.“ Deshalb müsse es heißen: „Erst der Wahlkreis, dann Berlin!“ Selbstkritik, die ankam beim Publikum und mit reichlich Applaus belohnt wurde. Wer als Politiker vergesse oder schlicht nicht mehr mitbekomme, was den Menschen wirklich Sorgen mache, dürfe sich über die Stimmengewinne der „Protestparteien“ nicht wundern, schrieb Linnemann seinen Berliner Kolleginnen und Kollegen ins Stammbuch.

Bei der Frage nach der Verantwortung sieht der CDU-­Politiker jeden Einzelnen in der Pflicht – und zwar früh: Wenn die Grundlagen nicht bereits in den Familien geschaffen würden, sei das fatal: „Wenn das versäumt wurde, schaffen wir das auch gemeinsam nicht mehr!“ Mit Blick auf das „volle Aufgabenheft“ der Gesellschaft heißt das für den CDU-Abgeordneten: „Wir brauchen ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle.“

Fragen und Probleme, die auch Erzbischof Hans-Josef Becker in seinem Grußwort streifte: „Um gute Entscheidungen treffen zu können, braucht es die Orientierung an gemeinsamen Werten. Werte wandeln sich nicht so schnell wie Inhalte, Werte sind Leitplanken unseres Handelns“, stellte er fest. Die christliche Soziallehre könne wichtige Entscheidungshilfen anbieten, sagte Becker in Richtung Politik. So sei bei Entscheidungen zu fragen, was der Würde des Menschen diene, was mehr Solidarität und Subsidiarität ermögliche und was mehr Nachhaltigkeit bringe.

Christen könnten angesichts der beschleunigten Gesellschaft das Angebot der „Unterbrechung“ machen: „Religion ist Unterbrechung im Alltag. Wir brauchen Unterbrechung, um uns bewusst zu machen, welchen Sinn, welche Perspektiven unser Leben hat und warum wir tun, was wir tun.“

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