15.01.2016

Gleich vorweg: Du bist begabt!

Jedes Werkzeug trägt zu einem gutem guten Sortiment bei, aber das beste Werkzeug nützt nichts, wenn es nicht zum Einsatz kommt. Foto: Bratscher / photocase

„Eigentum verpflichtet“! Dieser Grundsatz gilt auch für die von Gott geschenkten Geistesgaben.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Hintergründe der heutigen Lesung. Zweimal gab es in der Stadt Rom einen sehr gefährlichen Aufstand. Die Jahreszahlen können wir uns leicht merken: 494 und 449 vor Christus. Die Plebejer, also Handwerker und Dienstleister, erleben sich unterbewertet, als Unter-Schicht. Schon in der Nacht stehen z. B. die Bäcker auf und besorgen frische Brötchen für die Patrizier. Die stinkenden Urinfässer holten meist Sklaven aus den vornehmen Vierteln, um Felle und Häute zu gerben. Nur zwei Beispiele für Tätigkeiten, die kein hohes Ansehen brachten. Diese Deklassierung wollten Handwerker und Sklaven nicht länger mitmachen. Deswegen zogen sie aus der Stadt heraus und bildeten ein eigenes Camp. Das kommt uns nicht fremd vor. In jedem Zusammenleben gibt es Menschen, die zutiefst unzufrieden sind und unter dem Gefühl leiden, nicht mitgerechnet zu werden.

Aus der Stadt Rom geht in dieser Situation mutig Konsul Menenius Agrippa, also jemand aus der Oberschicht, zu den Menschen außerhalb der Stadt. Er entfaltet ein überzeugendes Bild: Jeder menschliche Körper ist ein Organismus mit vielen unterschiedlichen, aber unbedingt notwendigen Einzelgliedern. Er unterstreicht den Wert und das Gewicht jedes Einzelnen. Auf niemanden kann eine Gemeinschaft verzichten. Paulus übernimmt diesen Gedanken: „Wie wir an dem einen Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder den gleichen Dienst verrichten, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus. Einzeln aber sind wir untereinander Glieder, ausgestattet mit Gaben, die je nach der uns verliehenen Gnade verliehen sind“ (Röm 12,4-6). „Es gibt verschiedene Gnadengaben…Es gibt verschiedene Dienste…Es gibt verschiedene Kräfte, aber nur den einen Geist, den einen Gott“.

Alle Charismen, alle Fähigkeiten, sind nicht dem einzelnen Menschen privat gegeben; sie sind für die Mitmenschen, für die Gemeinschaft bestimmt. Wer beispielsweise die Gabe der Weisheit hat, die Gabe der Erkenntnis, soll wie eine Stadt auf dem Berge zur Orientierung anderer beitragen. Wer praktische Hilfe leisten kann, soll diesen Dienst in und an der Gemeinschaft ausüben. Nur in dieser Uneigennützigkeit kann sich eine Begabung schöpferisch für die Gemeinschaft auswirken. Wer die Befähigung zum betrachtenden Gebet und zum kontemplativen Leben hat, wird mit dieser Gnadengabe zum Triebwerk in der Kirche. Und wer die Gabe der Leidenssendung hat, macht durch sein geduldig getragenes Leiden und durch sein Leben ohne Verbitterung deutlich, dass vor aller Aktion die Passion Jesu Christi von Bedeutung ist. Kurz gesagt: Jede und jeder hat Fähigkeiten! Und jede Fähigkeit ist eine Gabe, die verkümmert, wenn sie nicht für andere eingesetzt wird. Und umgekehrt gilt: Jede Gemeinde ist nur dann lebendig, wenn die unterschiedlichsten Gaben und Fähigkeiten zur Geltung gebracht werden.

In jedem Verband, in jedem Verein beobachten wir die Wichtigkeit der „kleinen Dienste“. Wir benötigen nicht nur „Häuptlinge“. Es müssen auch zahlreiche „Indianer“ quicklebendig und selbstbewusst zur Stelle sein. Es wird längst nicht jede oder jeder eine Begrüßungsrede halten wollen und können. Jede Feier bekommt jedoch ihren Glanz von den vielen Einfällen aller Beteiligten, den zahlreichen Handgriffen und Augen für jedes Detail. Das gilt auch für die Kirche insgesamt. „Die Wahrheit ist polyphon, mehrstimmig“, sagte einmal der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar. Das ist ein wichtiger Gedanke: Jede präzise Formulierung bedarf der Ergänzung aus anderen Blickwinkeln von Menschen, die andere Erfahrungen gemacht haben.

Du bist begabt! Jeder von uns sehr unterschiedlich! Ist das nicht ein schöner Weckruf zum Beginn des vor uns liegenden Jahres?!

Konrad Schmidt

Der Autor war Rektor der Kath. Landesvolkshochschule in Hardehausen und ist heute Pastor im Pastoralverbund Sundern.

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