Glocken können Emotionen ausdrücken

Interview mit den Beauftragten für das Glockenwesen im Erzbistum Paderborn

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Glockenweihe in Dortmund-Hombruch mit Weihbischof Dominicus Meier OSB. Foto: Bodin
veröffentlicht am 02.12.2016
Lesezeit: ungefähr 5 Minuten

In der St.-Clemens-Gemeinde in Dortmund hat das Kirchenjahr mit einem besonderen Ereignis begonnen: mit einer Glockenweihe. Bis zur Weihe braucht es einige aufwändige und durchaus ergreifende Schritte, darunter die Prüfung durch die Sachverständigen des Erzbistums, Domkapitular Dr. Gerhard Best und Diplom-­Theologe Theo Halekotte. Andreas Wiedenhaus sprach mit ihnen.

DOM: Was sind Ihre Aufgaben als Glockensachverstän­diger?

Dr. Gerhard Best/Theo Halekotte: In der Regel geht es um die Planung und Begleitung von Restaurierungen, Instandsetzungen, Ergänzungen oder auch den Neuguss von Geläuten, wozu die Glocken selbst, die Armaturen, die Glockenstühle und die Türme mit ihren Glockenstuben gehören. Dazu inventarisieren wir die Geläute und befassen uns mit ihrer Geschichte, überprüfen die Sicherheit und Zweckmäßigkeit des technischen Zustandes sowie die Schallab­strahlung. Häufig geht es auch um eine Optimierung des Klanges, zum Beispiel durch Klangkorrekturen von ungestimmten Nachkriegsglocken oder den Einbau neuer, individueller Klöppel, denn Glocken sind ja vor allem liturgische Musikinstrumente. Auf Wunsch erarbeiten wir eine Läuteordnung und bereiten den Abschluss von gemeinsamen Wartungsverträgen für pastorale Räume vor.

Die Verluste aus dem Krieg dürften mittlerweile behoben sein – wie oft werden im Erzbistum noch neue Glocken installiert?

Die Verluste aus den Zwangsenteignungen für die Rüstungsproduktion aus dem Zweiten Weltkrieg, ja selbst aus dem Ersten Weltkrieg, sind noch nicht alle ersetzt. So läuten in einer Reihe von Kirchen noch ausgesprochen dürftige Notgeläute.

In einzelnen Jahren sind schon mal 30 neue Glocken gegossen worden. In diesem Jahr werden es mindestens neun werden. In den mittlerweile vierzig Jahren unserer Arbeit als Glockensachverständige kommen wir auf über 600 neue Glocken.

Gibt es Schäden, Alterung oder negative Umwelteinflüsse?

Solche Schäden gibt es seltener an den Glocken selbst, vielmehr eher an den Armaturen und Glockenstühlen. Ein paar Beispiele:

• In Gebieten mit (früher) hoher Umweltverschmutzung gibt es wesentlich stärkere Korrosionsschäden an Stahlbauteilen.

• Materialermüdung und Torsionsbelastung können zu Schäden an Stahljochen führen.

• Holzkonstruktionen, auch wertvolle historische, leiden unter Staunässe und Fäulnis durch Verschmutzung und mangelhafte Durchlüftung von Türmen.

Gelegentlich treten bei – meist jahrhundertalten – Bronzeglocken Risse auf. Diese können heute glücklicherweise in einem Spezialverfahren durch Schweißung restauriert werden.

Worauf kommt es an, wenn ein Geläut neu installiert oder ein vorhandenes ergänzt wird?Bei Ergänzungen oder Erweiterungen hat ein denkmalwerter Altbestand immer Vorrang: Das Neue hat sich, auch klanglich, dem Alten anzupassen. Auch dazu ist die Geläutegeschichte zu untersuchen.

Ganz wichtig ist die genaue Abstimmung auf Nachbargeläute, damit die Kirchen – auch ökumenisch! – zusammen harmonieren.

Geläute „von der Stange“ mit immer gleichen Melodien gibt es mehr als genug. Wir möchten, dass neue Geläute immer originell und unverwechselbar sind, aus Sicht der Kirchen- oder Kapellengemeinde eben „unsere Glocken“, das Geläut der eigenen Gemeinde!

Ganz wesentlich ist ja auch die Funktion der Glocken einer Kirche: Sie rufen zu Gebet und Gottesdienst, mit dem Stundenschlag sagen sie die Zeit an. Glocken sind auch Nachrichten-Übermittler, sie verkünden Freude und Leid, Jubel ebenso wie Gefahr und Tod.

Schließlich sollen neue Glocken immer künstlerisch oder kunsthandwerklich gestaltet werden und so auch künftigen Generationen etwas vom Glauben unserer Zeit überliefern.

Wenn man sich Aufnahmen von Glockenweihen anschaut, fällt auf, wie groß die Emotionen sind – was fasziniert Menschen an Glocken, warum berührt sie das Läuten so?

Glockenläuten ruft die Erinnerung an wichtige Ereignisse innerhalb des eigenen Lebens wach: traurige wie auch frohe und glückliche. Glocken können Emotionen ausdrücken, auch stellvertretend für Menschen, die das gerade nicht (mehr) können oder denen die Worte „im Halse steckenbleiben“.

Glocken sind öffentliche Musikinstrumente. So haben sich kürzlich beim Soester Glockenkonzert bis zu 2000 Zuhörer drei Stunden lang mit Begeisterung und Ausdauer die Innenstadtglocken angehört. Ein anderes Beispiel: Wenn die große Glocke von St. Johannes in Neheim läutet (derzeit die schwerste Glocke im Erzbistum Paderborn!), bleiben Menschen auf der Straße stehen, um zuzuhören.

Auf der anderen Seite gibt es auch Kritik, Anwohner fühlen sich gestört. Kommt so etwas häufiger vor, und wie geht man am besten damit um?

Es gibt oftmals unbegründete Beschwerden von Menschen, die neben eine Kirche gezogen sind und sich wundern oder ärgern, dass dort geläutet wird ähnlich wie Klagen gegen landwirtschaftliche Gerüche und Hähnekrähen auf dem Dorf. Liturgisches Läuten, also auch das Angelusläuten morgens um 6.00 oder 7.00 Uhr, ist jedoch durch letztinstanzliches Urteil als Ausdruck der Religionsausübung geschützt.

Es gibt aber auch begründete Beschwerden, denn ein lärmendes Geläute macht selten gute Musik. Da werden wir tätig und sorgen mit der Kirchengemeinde für Abhilfe, etwa durch Planung neuer Schallläden oder Klöppel.

Wie reagieren Sie, wenn Kritiker meinen, das Geld für neue Glocken sei an anderer Stelle besser investiert?

Erfahrungsgemäß gibt es für neue Glocken vielfach begeisterte Zustimmung, aber auch – seltener – erbitterte Ablehnung. Beides darf sein!

Unsere Erfahrung ist: Das eine tun und das andere nicht lassen. Häufig verzeichnen gerade die Gemeinden, die neue Glocken beschaffen, auch ein hohes Spendenaufkommen für andere, beispielsweise karitative Zwecke.

Was fasziniert Sie ganz persönlich an Ihrer Aufgabe?

Das ist ganz sicher die Vielfalt der Tätigkeit. Dazu gehören unter anderem Musik, Liturgie, Kunstgeschichte, Technik, Statik/Dynamik, Akustik.

Nach und nach haben wir zwar schon einen guten Überblick über einen großen Teil der „Glockenlandschaft“ unseres Erzbistums gewonnen. Dennoch findet man gelegentlich unbekannte Schätze, wie zum Beispiel Glocken aus dem 12. oder 13. Jahrhundert. Wo gibt es sonst Originalmusik aus dieser Zeit?

Wir lernen auch immer wieder engagierte Menschen kennen, die sich, heutzutage zunehmend ehrenamtlich, um ihre Kirche oder Kapelle kümmern!

Weitere Berichte und Fotos über die Glockenweihe gibt es im Dom Nr. 49/2016

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