28.10.2016

Gottes Sehnsucht sind wir!

Die Liebe ist immer größer als das Geld. Das spürt irgendwann auch Zachhäus. Foto: cydonna/photocase

Gott sehnt sich danach, uns retten und heilen zu können.

von Bernd Haase

„Alles beginnt mit der Sehnsucht!“, sagt die Dichterin Hilde Domin. Welche Sehnsucht, welche Kraft muss jene Menschen bewegen, die sich über das Mittelmeer oder Tausende von Kilometern auf den Weg machen, um aus Krieg und Not nach Europa zu kommen, in das scheinbar „gelobte Land“; die sogar ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen? Oder die zahllosen Menschen, die sich auf den Camino, den Weg ins spanische Santiago de Compostela machen, weil sie sich sehnen nach Lebenssinn, Glück oder einer tiefen Gottes­erfahrung? Sehnsucht beflügelt die Fantasie, sie treibt den Menschen an, manchmal auch ungewöhnliche, ja verrückte Dinge zu tun.

Etwas Ähnliches geschieht mit Zachäus; er will diesen Jesus sehen. Aber weil er etwas zu klein geraten ist, klettert er kurzerhand auf einen Baum am Straßenrand. Für den obersten Zollpächter der Stadt ist das schon eine verrückte Idee, etwas peinlich. Das ist wohl das Grundproblem seines Lebens, das, was ihn nicht nur äußerlich, sondern auch in seinem Selbstwertgefühl klein macht: Auf der Karriere­leiter steht er ganz oben, hat es zu Wohlstand gebracht; aber er ist auch der Kleine und Minderwertige – isoliert, ausgestoßen, verachtet, ja sogar gehasst! Man geht auf Distanz zu ihm.

Getrieben von der Sehnsucht, Jesus zu sehen, ihm zu begegnen, hält auch er sich trotzdem auf Distanz. Aber es kommt zur Begegnung und zu einer Bekehrung aus Sehnsucht: Zachäus sehnt sich danach, angenommen, beachtet, geliebt zu sein; und die Sehnsucht Gottes ist der Mensch; denn dieser Gott ist – so sagt es die erste Lesung aus dem Buch der Weisheit – ein „Freund des Lebens“. Bekehrung geschieht hier nicht mit dem erhobenen Zeigefinger; sie geschieht mit einem Blick. Und dieser liebende Blick hilft dabei, wieder zu sich selbst zu finden, zum eigenen guten Kern, den Gott in mir grundgelegt hat.

Bekehrung nimmt ihren Anfang bei der Sehnsucht, in der Einsicht: So ist mein Leben nicht in Ordnung, es muss noch etwas anderes geben! Es gibt mehr als Wohlstand und Luxus. Ein voller Geldbeutel füllt noch lange nicht die innere Leere! Zachäus spürt das alles. Er merkt, dass es ihn klein macht; er sucht etwas oder jemanden, der seine unerfüllte Sehnsucht stillen kann. Er fühlt sich in seiner eigenen Welt, deren Mitte das Geld ist, verloren! Gott braucht unsere Sehnsucht, ER sieht uns in unserer Verlorenheit. „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist!“ Das ist das Programm Gottes, bis heute. Und so treffen sich an einem Maulbeerfeigenbaum – ganz profan und scheinbar zufällig – die Sehnsucht des einen und die Suche des anderen in einem „Augen-­Blick“; in einem Blick, der den Menschen in dem erreicht, was er eigentlich sucht, aber allein nicht finden kann. Es ist der Blick, der Verständnis si­gnalisiert, in dem der Mensch sich angenommen und gefunden weiß, der ganz und gar „durch-schaut“; der Blick, der befreit, heilt, frei und groß macht.

Das, was das Evangelium berichtet, geschieht immer wieder, bis heute: Ungeplant und unvermutet begegnet Gott dem Menschen, weil ER uns sucht. Gott ist ein Freund des Lebens. Er möchte, dass unser Leben gelingt. Wir dürfen unsere Fehler anschauen und einen neuen Weg wagen – jederzeit! Gott kommt auch mir entgegen, ER ist auf der Suche nach mir. ER sagt auch zu mir: „Heute muss ich in deinem Haus zu Gast sein!“ Dabei ist eines sicher: Wenn ich IHN herein bitte, dann hat SEIN Besuch Folgen in meinem Leben – wie bei Zachäus! Alles beginnt mit der Sehnsucht – auch bei mir!

Der Autor ist Dechant des Dekanates Büren-Delbrück und Leiter der Pastoralverbünde Delbrück und Hövelhof.

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