26.10.2017

Hat er oder hat er nicht?

So stellt man sich das vor, aber so war es vielleicht gar nicht: Luther hämmert seine Thesen an die Kirchentür. Bild: Ferdinand Pauwels, 1872/dpa

Wittenberg (KNA). Ob Martin Luther tatsächlich am 31. Oktober 1517 die Ablassthesen angenagelt oder verschickt hat, wird weiterhin kontrovers diskutiert.

GEdanAm 31. Oktober 1517 schlug der Mönch Martin Luther mit Hammer und Nagel seine 95 Thesen zum Ablass an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg und brachte damit die mittelalterliche Papstkirche zum Einsturz. So hat man sich das jahrhundertelang vorgestellt.

Doch Anfang der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts nahm ausgerechnet der katholische Theologe Erwin Iserloh Luther den Hammer aus der Hand. Er zeigte auf, dass der Thesenanschlag nicht stattgefunden habe. Wenig überraschend schickte diese These zum Thesenanschlag Schockwellen durch die protestantischen Kirchen. Fakt ist: Es gibt keinen Augenzeugenbericht, und die Überlieferung ist eher dünn. Doch jetzt, kurz vor der 500. Wiederkehr der Veröffentlichung von Luthers Thesen, vermuten Reformationshistoriker mit gutem Grund, dass die Thesen, die der Reformator an die zuständigen Bischöfe sandte, doch auch an der Kirchentür hingen. Damals war es üblich, den Pedell, also den Hausmeister oder Boten, zu beauftragen, der dann mit Wachs oder Siegellack loszog, um wichtige Nachrichten an der Kirchentür zu befestigen. Kein Wunder also, dass es keine Augenzeugenberichte gibt, wie der angehende Reformator seine Thesen mit Nachdruck angenagelt hat.Die Tür der Schlosskirche diente als Schwarzes Brett der Universität. Alles, was wichtig war, akademische Verlautbarungen oder Ankündigungen, wurde dort aufgehängt. Überhaupt hatten Kirchentüren damals die Funktion von Nachrichtenportalen. Wer in die Kirche ging, konnte sich anhand der Aushänge rasch informieren, was anstand. Daniel Jütte, ein in New York lehrender Historiker, sagt, dass Luther weder Begründer noch Pionier des Phänomens war, Schriften an Kirchentüren zu heften, sondern Teil einer Kultur, in der solche Aktionen seit Jahrhunderten zum Alltag gehörten. Was nicht als Verlautbarung an der Kirchentür hing, war nicht in der Welt.

Eines ist jedenfalls unbestritten: Der Wittenberger Augustiner-­Eremit hat sowohl Tag wie auch Ort mit Absicht gewählt. Denn am folgenden Tag, Allerheiligen, konnte man in der Schlosskirche einen großen Ablass erlangen, der die kleine Stadt an der Peripherie des Heiligen Römischen Reiches zu einem beliebten Wallfahrtsort für die Menschen in der näheren und weiteren Umgebung machte. Viele kamen schon früher, da sie zur Beichte gehen wollten, die unmittelbare Vorbedingung für den Ablass war. Wenn sie des Lesens mächtig waren, erwartete sie an der Kirchentür eine Überraschung – Luthers 95 Thesen zum Ablass. Diese waren zwar von ihm als Ausgangspunkt für eine akademische Diskussion gedacht und auf Latein formuliert, aber zielten mit Sicherheit auch auf eine interessierte Öffentlichkeit.

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