20.09.2018

Seitenwechsel

Jemanden rüberziehen oder zu sich ziehen heißt, ihn zu retten. Foto: William Randles / unsplash

Vor dem Landgericht Paderborn geht in diesen Tagen der sogenannte Horrorhaus-Prozess zu Ende. Es geht um ein wahrhaft monströses Verbrechen.

von Claudia Auffenberg

In einem Haus im Höxterschen sind zwei Frauen auf grausige Weise zu Tode gekommen, angelockt über Kontaktanzeigen, dann über lange Zeit gequält von einem Mann und einer Frau. Was man morgens zum Frühstück in den Zeitungen lesen konnte, war echt schrecklich. Was man nirgendwo gelesen oder gehört hat: dass es einen Trauermarsch gegeben hätte für diese beiden Frauen, dass von weither ums Vaterland Besorgte angereist wären, um ihre Trauer über das Geschehen zu bekunden. Anders als in Chemnitz oder Köthen herrschte und herrscht Stille. Warum wird um die beiden Frauen nicht so öffentlich getrauert? Könnte ein Grund sein, dass die mutmaßlichen Täter keine Ausländer sind? Vor Gericht stehen ein deutscher Mann und eine deutsche Frau.

Wie es sich gehört, wurde im Laufe des Prozesses gefragt: Warum haben die beiden das gemacht? Was hat in ihrer Biografie dazu geführt? Der Mensch ist ein hochkomplexes Wesen, ganz wird man wohl nie klären können, warum der eine zum Täter wird und der andere nicht. Aber es gibt durchaus äußere Umstände, die eine solche Entwicklung – sagen wir: begünstigen. Heute weiß man zum Beispiel, dass Kinder, die in gewalttätigen Familien aufwachsen, ein Fehlverhalten entwickeln, das ihnen das Überleben sichert. Für Pflegefamilien ist es eine große Herausforderung, solchen Kindern Grenzen zu setzen. Gleichwohl muss das geschehen. Und es muss auch bei solchen Menschen geschehen, die im Bürgerkrieg, in korrupten und verrohten Verhältnissen aufgewachsen sind, die sich im Wortsinne durchgeboxt und um ihr Leben gekämpft haben und nun als Flüchtlinge bei uns leben.

Damals in Jericho gab es sicher genug Leute, die den Zachäus liebend gern mit Knüppeln aus der Stadt getrieben hätten. Der war zwar kein Ausländer, stand aber auf der falschen Seite. Jesus zieht ihn rüber. Es lohnt sich, genauer zu bedenken, wie er das macht.

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