08.09.2017

Verlässlich leben dürfen

Der Brexit – ein Ehebruch der Institutionen? Auf diese Idee könnte man kommen. Foto: succo / pixabay

Könnten die Zehn Gebote Europa helfen, seine Zukunft zu gestalten? Ja, sagt die katholische Theologin Prof. Dr. Elisabeth Jünemann. Sie lehrt an der KatHO NRW Theologische Anthropologie und Theologische Ethik und befasst sich mit der Frage, wie Ethik von den hehren Vorsätzen zur konkreten Tat werden kann. Sie hat die Zehn Gebote auf Europa hin gedeutet. In dieser und den folgenden DOM-Ausgaben geben wir ihre Gedanken wieder.

Du sollst nicht morden

Man soll nicht töten. Man soll das Leben schützen. Was ist das Leben? Jede Beschreibung bleibt zu klein und mangelhaft. Man kann eigentlich nur staunen und das Leben des Menschen, wie im Alten Testament, in all seinen Facetten sehen: Da geht es um die Körperlichkeit des Menschen, es geht um sein Bewusstsein und es geht um das, was wir Seele nennen, um seine Beziehung zu Gott. „Das fünfte Gebot fordert den Schutz des ganzen Lebens“, so Elisabeth Jünemann, „der wird in Europa sehr unterschiedlich interpretiert.“ Die einen plädieren für Lebensbegleitung bis ans Ende, die anderen praktizieren Sterbehilfe – sogar für Kinder. Doch es geht nicht nur um die Gesetze zur Sterbehilfe, auch die Gesundheits- und die Sozialpolitik werden von diesem Gebot berührt: Darf es Einschränkungen bei der Gesundheitsversorgung geben wie in Großbritannien? Darf man Menschen den Start ins Leben verweigern, weil sie eine bestimmte Behinderung haben oder sonst wie die Abläufe stören? Darf man überhaupt regeln, wer leben darf und wer nicht? Und was ist mit den ertrinkenden Flüchtlingen im Mittelmeer? Ein anspruchsvoller Schutzauftrag für Europa, den es bislang an vielen Stellen nicht erfüllt.

Du sollst nicht ehebrechen

Ein oft falsch verstandenes Gebot: Es geht um die Ehe. Aber es geht nicht um Sexualität in oder außerhalb der Ehe, es geht, so Professorin Jünemann, um die Ehe als Vertrag. Es ging dem Volk Israel um die Verlässlichkeit. Und zwar um die des Mannes, weil er der Stärkere war. Und weil er die Frau aus der Ehe entlassen durfte. Das war juristisch in Ordnung, aber es bedeutete fast immer den materiellen und sozialen Ruin der Frau. Vereinbarungen dürfen, das schloss man daraus, nicht zulasten der Schwächeren gebrochen werden. „In Analogie dazu ist die Europäische Gemeinschaft gefragt“, sagt Jünemann, „welche vertraglichen Sicherungen, welche Strukturen sind geeignet, eine verlässliche politische und wirtschaftliche Beziehung der Partnerstaaten untereinander, vor allem aber auch der stärkeren gegenüber den schwächeren Mitgliederstaaten zu unterstützen?“

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