1250 Jahre Westfalen
LWL-Archäologie restauriert Funde aus Gräberfeld in Schieder-Schwalenberg für Ausstellungen.
Mit der Entdeckung des Gräberfeldes von Schieder-Schwalenberg 2022 schließt sich nach Ansicht der Fachleute vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) eine Forschungslücke für das Frühmittelalter im Kreis Lippe. Über 70 Gräber aus der Zeit zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert erlauben Einblicke in den gesellschaftlich-kulturellen Wandel von der Merowinger- zur Karolingerzeit am Rande des fränkischen Reiches.
Funde aus diesem frühesten mittelalterlichen Reihengräberfeld im Kreis Lippe werden aktuell in der Restaurierungswerkstatt der LWL-Archäologie für Westfalen in Münster wiederhergestellt. Verschiedener Schmuck, Schildfragmente, Schwerter und ein Messer sollen anlässlich des Jubiläums „1250 Jahre Westfalen“ im Jahr 2025 präsentiert werden. Die Funde waren 2022 teilweise im Block geborgen worden.
Nachdem die LWL-Restauratorinnen und -Restauratoren die Funde untersucht und freigelegt haben, ist das Ergebnis im kommenden Jahr gleich zweimal zu sehen: Neu integriert ab Frühjahr 2025 in der Dauerausstellung des Lippischen Landesmuseums Detmold – und die jüngeren Funde ab 16. Mai 2025 in der großen Jubiläumsschau „775 – Westfalen. Die Ausstellung“ im LWL-Museum in der Kaiserpfalz in Paderborn.
Dr. Georg Lunemann, der Direktor des LWL: „Für mehr als acht Millionen Menschen bedeutet Westfalen Heimat. Das sind fast die Hälfte der Bürger:innen des einwohnerstärksten Bundeslandes im Westen von Deutschland. Grund genug, mit ihnen im kommenden Jahr ein großes Jubiläum zu feiern.“ Denn im Jahr 2025 jährt sich die erstmalige Erwähnung der Westfalen in einem Bericht der fränkischen Reichsannalen für das Jahr 775 zum 1250. Mal. „Die bundesweite Bedeutung Westfalens wird auch dadurch unterstrichen, dass der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Schirmherrschaft über das gesamte Kulturprogramm zum Jubiläum übernommen hat.“ Die Ausstellung zum Gründungsjahr 775 in Paderborn sei Anker und Höhepunkt des Westfalen-Jubiläums. „Heute zeigen wir den Weg vom unscheinbaren Fund im Lehmboden zum glänzenden Exponat in dieser Ausstellung“, so Lunemann.
Neben der Westfalen-Ausstellung feiert der LWL das Jubiläum gemeinsam mit der LWL-Kulturstiftung mit einem vielfältigen Kulturprogramm in verschiedenen Städten. Lunemann: „44 Projekte, welche die LWL-Kulturstiftung mit rund drei Millionen Euro fördert, tragen mit ihren Angeboten in der gesamten Region das Jahr hindurch zur Feier bei. Neben der Geschichte Westfalens und örtlich herausstechenden Ereignissen widmen sich weitere Projekte aktuellen Fragen nach Identität, Herkunft und Zugehörigkeit.“
Es gehe zum Beispiel um westfälische Moorlandschaften, jüdische Frauen im Widerstand, neue Impulse aus der Freien Szene oder um bekanntere und weniger bekannte Geschichten und Persönlichkeiten, so die LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger.
Die Vorbereitungen zur Jubiläumsausstellung laufen nach Angaben der LWL-Kulturdezernentin auf Hochtouren: „Um die herausragenden Funde aus Schieder-Schwalenberg überhaupt sichtbar zu machen, sind zwei Restaurator:innen seit 2022 im Einsatz, um mehr als 47 Metallobjekte und hunderte von Perlen wieder zum Leben zu erwecken.“ Restaurieren heiße dabei nicht nur zu reparieren und haltbar zu machen, sondern mit Hilfe moderner Technik wissenschaftlich zu untersuchen und die neuen Erkenntnisse für zukünftige Generationen auch in 3D fassbar zu machen. In Einzelfällen kümmerten sich die LWL-Fachleute auch um die Erhaltung von Funden, die andere entdeckt haben wie in diesem Fall der Landesverbandes Lippe. Ressourcen schonen sei das Motto, so Rüschoff-Parzinger.
Dr. Michael Zelle, Leiter des Lippischen Landesmuseums Detmold: „Für uns war die Entdeckung des frühesten mittelalterlichen Reihengräberfeldes im Kreis Lippe eine Sensation. Ein Reihengräberfeld war an der Stelle nicht zu erwarten und so staunten wir jeden Tag mehr, was sich da bei Bauarbeiten im Neubaugebiet „Seeblick“ unter der Erde auftat.“
Auf einer Fläche von 2.100 Quadratmetern wurden über 70 Gräber ausgegraben und untersucht. Ganz im Einklang mit den Bräuchen des frühen Christentums ist ein großer Teil der gefundenen Gräber West-Ost-ausgerichtet. „Von den Gräbern waren 50 West-Ost-ausgerichtet und 15 Nord-Süd. Fünf weitere West-Ost-Befunde konnten wir aufgrund ihrer geringeren Größe als Kindergräber identifizieren. Außerdem haben wir mindestens sechs Pferdebestattungen nachgewiesen, welche lediglich anhand der Zähne erkennbar waren.“
Aufgrund der Anzahl der Bestattungen und ihrer chronologischen Tiefe nehmen die Archäolog:innen an, dass hier eine kleine Siedlungsgemeinschaft über drei bis vier Generationen ihre Verstorbenen bestattete. Ob die Beerdigten tatsächlich Christen waren, sei aber nicht sicher.
Zelle: „Die in Schieder nachgewiesenen Pferdebestattungen sind als besonders wertvolle Grabbeigabe zu interpretieren, welche den hohen sozialen Stand der Verstorbenen abbildet.“ Auch die Ausgrabung zweier aufwendiger Grabkammerkonstruktionen spreche dafür ebenso wie wertvolle eiserne Grabbeigaben. Ein Sax, ein einschneidiges Hiebschwert, und eine bronzene Kreuzfibel, also eine Gewandnadel, zwei der jüngsten Funde, sowie zahlreiche Glasperlen, welche mit der Fibel das Gewand einer beigesetzten Frau verschlossen, sind ab dem 16. Mai 2025 in der Jubiläumsausstellung im LWL-Museum in der Kaiserpfalz in Paderborn zu sehen.
Rüschoff-Parzinger ordnet die Bedeutung der Funde für die Ausstellung ein: „Im Rahmen der Westfalen-Ausstellung nehmen diese Funde eine besondere Rolle ein. Sie zeigen typische Kriegswaffen in den Männergräbern, aber auch reiche Frauengräber. Besonders ist: Der Friedhof ist über einen langen Zeitraum bis in die Karolingerzeit genutzt worden.“ Gemeinsam mit anderen Waffen aus Westfalen würden sie Teil einer großen Inszenierung sein, die Besucher:innen schon zu Beginn der Ausstellung in die Welt der Sachsenkriege und in das mittelalterliche Westfalen eintauchen lasse.
Restaurierung mit Schleifgerät und CT
Bretzel-Scheel: „Da die frühmittelalterlichen Perlen noch aus Rohstoffen gefertigt wurden, die im Gegensatz zu späteren Glaserzeugnissen weniger korrosionsanfällig sind, strahlen sie auch heute noch in ihrer ursprünglichen Farbe“. Anders sah es bei Sax und einem Schwert (Spatha) aus, die ebenfalls im Gräberfeld lagen und als Lehmblock auf dem Tisch der Restauratorin landeten. „Der Lössboden war eine echte Herausforderung. Im trockenen Zustand hart wie Beton, müssen die Funde vorsichtig Zentimeter für Zentimeter freigelegt und aus dem Block entnommen werden. Anschließend legen wir bei Eisenfunden die Originaloberfläche mit Schleifgerät und Druckstrahlen frei.“
Eine besondere Herausforderung war die Restaurierung der einzigen Spatha. Dieses aufwendig mit damasziertem Stahl hergestellte, zweischneidige Schwert lag noch in seiner Holzscheide. „Hier musste der harte Sand vorsichtig mit Skalpell von der sehr weichen Holzoberfläche freigelegt werden. Diese Arbeitsschritte dauerten insgesamt mehrere Wochen“, so Bretzel-Scheel. Der große Zeitaufwand habe sich aber gelohnt, da hier nun eine Spatha mit Holzscheide und Resten eines Schwertgriffs aus Horn „im ausstellungsfähigen Zustand“ vorliege. Abschließend werden die Funde, so auch eine bronzene Kreuzfibel, mit einer reversiblen Kunstharzschicht überzogen, um sie widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse zu machen.
Zahlreiche Computertomografien (CT) waren nötig, um mehr über die Beschaffenheit der Waffen zu erfahren und daraus wichtige Informationen für den Restaurierungsprozess abzuleiten. „Das Schwert ist damasziert, das heißt Eisen und Stahl wurden so miteinander feuerverschweißt, dass sie den Anforderungen an die Waffe genügten: nicht so hart, dass sie bricht, sondern elastisch genug für den Einsatz und optisch ein Hingucker, da sich ein wunderschönes Muster auf der Oberfläche abbildete.“
Gemeinsam mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) feiert die LWL-Kulturstiftung 2025 das Jubiläum „1250 Jahre Westfalen“ mit einem vielfältigen Kulturprogramm aus Kunst, Geschichte, Literatur, Musik, Kabarett, Kulinarik, Podcasts und mehr. Anlass dafür ist die erstmalige Erwähnung der Westfalen in einem Bericht der fränkischen Reichsannalen für das Jahr 775. 44 Kulturprojekte, die zusammen mit rund drei Millionen Euro gefördert werden, widmen sich in zahlreichen Veranstaltungen der Geschichte Westfalens und aktuellen Fragen nach Identität, Herkunft und Zugehörigkeit.
Die Ausstellung „775 – Westfalen. Die Ausstellung“ im LWL-Museum in der Kaiserpfalz in Paderborn lädt ab dem 16. Mai 2025 als zentrales Projekt zur Wanderung durch die Jahrhunderte ein. Das Kulturprogramm zum Jubiläumsjahr 2025 „1250 Jahre Westfalen“ steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Zur Sache
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nimmt an der Eröffnung der Ausstellung „775 – Westfalen. Die Ausstellung“ zum Jubiläumsjahr „1250 Jahre Westfalen“ im LWL-Museum in der Kaiserpfalz in Paderborn teil. Der Festakt findet am 15. Mai 2025 im Hohen Dom zu Paderborn statt. Die Stiftung der Sparkasse Münsterland Ost fördert das Kulturprogramm im Rahmen ausgewählter Projekte in Münster und im Kreis Warendorf. Weitere Informationen unter: http://www.lwl-kaiserpfalz-paderborn.de