St. Rochus in Jülich: Wo früher Kirchenbänke und der Altar standen, reihen sich heute Fahrräder dicht an dicht. Die Kirche wurde zum Fachgeschäft.
Foto / Quelle: Felix Hemmers / Baukultur NRW

Abbruch – Umbruch – Aufbruch

Zu viele Kirchen, zu wenige Kirchgänger – im Erzbistum kommt das Immobilienkonzept in Fahrt. Der Pastorale Raum Dortmund-­Ost hat eine erste Planung vorgelegt. In Essen zeigt eine Ausstellung, was nach der Profanierung werden kann.

Von Wolfgang Maas
Essen/Dortmund/Paderborn

Sie ist voll, die Heilig-Geist-­Kirche im Essener Norden. Aber ist das überhaupt noch eine richtige Kirche? In einer Ecke stehen die letzten Kirchenbänke, ein Beichtstuhl ist daneben zu sehen – staubig und unbenutzt. Vorne, wo eigentlich der Altar stehen sollte, ist nur noch grauer Stein. Das werde einer der letzten Gottesdienste hier, betont Pfarrer Ingo Mattauch von der Pfarrei Hl. Cosmas und Damian.Aber nicht nur wegen des ökumenischen Transformationsgottesdienstes kamen die Menschen. Gleichzeitig wurde die Ausstellung „Kirchen als vierte Orte – Per­spektiven des Wandels“, die noch bis zum 6. Oktober zu sehen ist, eröffnet.

Entwickelt hat sie der Verein Baukultur Nordrhein-­Westfalen. Die Ausstellung sei konzipiert aus „architektonischer Sicht“, erklärte Peter Köddermann, Geschäftsführung Programm bei Baukultur Nordrhein-Westfalen. Sein Team sei sich allerdings bewusst, wie emotional aufgeladen das Thema ist. Die Beispiele für neu genutzte Kirchen, die die Ausstellung zeigt, seien das Ergebnis von vielen persönlichen Kontakten. „Wenn man gemeinschaftlich etwas verändern will, braucht es einen Dialog“, so Peter Köddermann.Ausführliches Bild von den GebäudenViel kommunizieren muss jetzt auch Pfarrer Ludger Keite, rund 40 Kilometer östlich im Dortmunder Stadtteil Brackel.

In der Ausstellung „Kirchen als vierte Orte – Perspektiven des Wandels“ werden Interviews mit Menschen eingespielt, die heute ehemalige Gotteshäuser etwa für ihr Gewerbe nutzen.
Foto / Quelle: Wolfgang Maas

Allerdings ist der Prozess hier noch eher am Anfang. „Das Immobilienkonzept des Erzbistums Paderborn sieht eine sehr formatierte Vorgehensweise vor. Wir haben einen Arbeitskreis gegründet mit Mitgliedern aus allen Gemeinden, sowohl Kirchenvorstand als auch Pfarrgemeinderat. Den haben wir gegründet vor gut einem Dreivierteljahr.“ Dann haben sich die Mitglieder ein ausführliches Bild gemacht von den Gebäuden, die zum Pastoralen Raum Dortmund-­Ost gehören. Daraus sei ein erstes Konzept entstanden, das jüngst während einer Gemeindeversammlung – auch die gehört zum standardisierten Vorgehen – vorgestellt wurde. „Die Bürgerversammlung war gut besucht. Es waren nicht nur Leute aus der Kerngemeinde da, sondern auch andere Interessierte, die es aus der Presse erfahren haben“, so Pfarrer Keite.

Die Stimmung beschreibt der Geistliche als sachlich. „Ein Game­changer war eine Power-Point-­Folie, wo wir uns die Kirchenbesucher der vergangenen 30 Jahre angeschaut haben – von 1993 bis 2023. In unserem Pastoralen Raum Dortmund-­Ost waren regulär an jedem Wochenende 2 400 Gottesdienstbesuchende in den Kirchen. Heute stehen wir bei 300.“ Das sei kein Einzelfall. Der Verein Baukultur NRW geht davon aus, dass „von 6 000 Kirchen in Nordrhein-­Westfalen bis zu 3 000 aus der Nutzung fallen können“. Und das schlichtweg, weil die Kirchgänger immer weniger werden.Auch Ludger Keite ist sich sicher, dass ein Gotteshaus und ein Pfarrzentrum für seinen Bereich – zumindest theoretisch – ausreichen würden. „Wir brauchen längst nicht mehr diese Räumlichkeiten. Es gibt das Bild: Wie ein Anzug, der zu groß geworden ist, sind unsere Immobilien einfach zu groß für die wenigen Menschen, die sie nutzen.“

Und auch das gehört zum Umbruch: Bänke und andere Gegenstände aus ehemaligen Kirchen werden nicht mehr gebraucht.
Foto / Quelle: Wolfgang Maas

Was nun? In der Essener Ausstellung, die danach durch ganz Nordrhein-Westfalen wandern soll, gibt es jede Menge Beispiele. Einen Schwerpunkt bilden 27 umgenutzte Kirchen, etwa die Dreifaltigkeitskirche Köln (heute Aikido-­Dojo), die Friedenskirche in Bochum (heute Q1-­Stadtteilzentrum), St. Rochus in Jülich (heute Fahrradgeschäft) oder die Kreuzeskirche in Essen (heute Mischnutzung für Gottesdienste und Veranstaltungen). Die Gebäude stehen noch, die Innenräume werden allerdings anders genutzt. Kurator Felix Hemmers sieht durchaus Parallelen zwischen alter und neuer Nutzung. „Als Gesellschaft müssen wir wieder in den Austausch kommen. Da kommt man schnell zu den Kirchen.“ Orte der Kommunikation, des Dialoges sollen die Gebäude bleiben, dass ist Hemmers Idee.Neue Ideen sucht auch der Evangelische Kirchenkreis Paderborn. Der Ansatz hier: „Glaub doch, wo du willst!“. Das ist gleichzeitig die Aufforderung, sich mit den eigenen Projekten für Fördermittel zu bewerben. „Vieles ist denkbar und auch erwünscht. Menschen sollen ihre Ideen von Kirche einbringen und verwirklichen. Wir unterstützen sie dabei mit unserem Netzwerk und auch finanziell. Also: Kreativmodus an“, sagt Superintendent Volker Neuhoff.

Raus aus den Kirchenmauern

Und Gebäude? „Raus aus den Kirchenmauern“, das war ein Wunsch, der von vielen an der Planung Beteiligten geäußert wurde. Auf jeden Fall wolle man raus zu den Menschen gehen, auch zu einem Musikfestival oder zum 3D-Minigolf. „Wir sind besonders gespannt auf die Einfälle von Menschen, die aktuell weniger Bezug zur Kirche haben. Es sind Vorhaben gefragt, die anders sind“, so Superintendent Neuhoff. Wer Ideen hat, kann sich im Internet (­www.­kirchewoanders.­de) informieren und auch anmelden. Der Zukunftsfonds des Evangelischen Kirchenkreises Paderborn unterstützt neuartige Projekte mit bis zu 15 000 Euro.

Mehr aus den Kirchen herausgehen möchte Superintendent Volker Neuhoff (Foto rechts). Er kann sich Kirche an ungewöhnlichen Orten wie zum Beispiel beim 3D-Schwarzlicht-­Minigolf im Erlebnispark Meiwes in Del­brück vorstellen.
Foto / Quelle: EKP/Jan-Hendrik Noll

Dass Gottesdienste im Freien besser angenommen werden als klassische in der Kirche, hat auch Pfarrer Keite festgestellt. „Man braucht im Jahr immer wieder verbindende Gottesdienste oder Gemeindefeste, wo schon deutlich wird: Wir schauen über den Tellerrand hinaus. Zum Beispiel haben wir an Fronleichnam seit vielen Jahren eine gemeinsame Prozession. Das hat sich bewährt.“ Auch das Friedensgebet auf der Halde Schleswig schaffe Gemeinschaft.Allerdings muss auch diese Gemeinschaft erarbeitet werden. „Der Reflex ist immer der gleiche. Die Leute sagen: ‚Ja, dann können die anderen ja gerne zu uns kommen.‘“ Die eigene Komfortzone zu verlassen und mit der Stadtbahn in den nächsten Ortsteil zu fahren, sei mitunter schwierig – auch wenn hier im Dortmunder Osten die Wege von außen betrachtet kurz sind.

Die Vergangenheit nicht vergessen

Bei aller Diskussion um Gebäude dürfe man zudem nicht vergessen, dass diese auch zum Ballast werden können. Reparaturen kosten Zeit und Geld, es brauche auch Ehrenamtler, die etwa ganz profan Schnee schippen – und die Kirchgängerinnen und -gänger werden immer älter. Ein Beispiel: „Die Kirche St. Konrad haben wir vor gut drei Jahren geschlossen. Nach drei Jahren weint keiner mehr der Kirche hinterher. Die Menschen haben sich umgewöhnt auf die andere Kirche im gleichen Ortsteil, haben damit ihren Frieden geschlossen.“ Allein schon deswegen, weil diese barrierefrei zu betreten ist. Vorher musste man 20 Stufen überwinden.

Herz und Vernunft zusammenbringen, sieht Pfarrer Ludger Keite (Foto links) als He­rausforderung beim Thema kirchliche Immobilien an.
Foto / Quelle: Wolfgang Maas

Ein Blick in die Essener Kirche macht ebenfalls Hoffnung. Konzentriert schauen sich die über 200 Gäste der Ausstellungseröffnung die Exponate an, gehen herum, kommen ins Gespräch. Und es wird deutlich: Selbst bei einer neuen Nutzung darf die Vergangenheit des Gebäudes nicht vergessen werden. In der Heilig-Geist-­Kirche liegt deshalb bis zur endgültigen Schließung ein sogenanntes Sternstundenbuch aus. „Schreiben Sie dort hinein, was Sie mit der Kirche verbindet“, fordert Diakon Franz-­Stephan Bungert auf. Auch Fotos, etwa von Familienfeiern, seien willkommen. Die Messdienerinnen und -diener haben zudem kleine Steine aus dem alten Altar gebrochen, die nun als Andenken verteilt wurden. Als „Dank für diesen Ort des Glaubens“, so Diakon Bungert, könne man zudem Rosenblätter niederlegen.

Auch für Pfarrer Keite ist die Erinnerung wichtig. „Bei St. Konrad haben wir beispielsweise gesagt: ‚Wir müssen diese Kirche abtragen, um Platz zu schaffen für ein Altenzentrum mit der Idee, dass dieses Altenzentrum dann den Namen St. Konrad behält, und mit der Idee, dass dieses Altenzentrum eine Kapelle erhält. Das ist ein Andachtsraum, wo wir Gegenstände aus der alten Kirche mitnehmen können.“ Man müsse die Gefühle der Gemeindemitglieder ernst nehmen und respektieren. Aber „wenn eine Weiternutzung da ist und ein Gebäude nicht verwahrlost, dann können Menschen auch ihren Frieden damit schließen“.

Hintergrund

Weitere Informationen zum Thema gibt es unter: https://www.zukunft-kirchen-raeume.de. Den „vierten Ort“ im Titel der Ausstellung erklärt Kurator Felix Hemmers so: „Der erste Ort ist das Zuhause, der zweite die Arbeit und der dritte beschreibt Gemeinschaftsorte, an denen man sich treffen kann.“ Das könne etwa eine Gaststätte sein. Kirchen seien mehr, deshalb werden sie als „vierter Ort“ bezeichnet. „Sie sind ein Ort der Kontemplation.“ Zur Ausstellung in der Heilig-Geist-­Kirche, Meybuschhof 9 in Essen-­Katernberg, gibt es auch Begleitveranstaltungen. „Kirche und Stadt – Transformation als Dialog“, heißt eine am Donnerstag, 26. September, ab 19.00 Uhr. Zur Ausstellung bietet das Museum der Baukultur NRW außerdem Führungen in Form von Ausstellungsgesprächen an. Diese finden am Sonntag, 22. September, ab 12.00 Uhr und am Samstag, 28. September, ab 12.00 Uhr statt.

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