Amnesty zieht kritische Bilanz für Menschenrechte in 2023
Mangelnder Schutz von Zivilisten und Frauen, zunehmende Risiken durch KI und Überwachung: Amnesty International sieht die Entwicklung der Menschenrechte kritisch.
75 Jahre nach ihrer Erklärung stehen die Menschenrechte laut Amnesty International in weiten Teilen der Welt enorm unter Druck. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Jahresbericht der Organisation. „Weltweit gewinnen nationalistische, rassistische und frauenfeindliche Kräfte Zuspruch“, warnte die Generalsekretärin der Organisation in Deutschland, Julia Duchrow, am Dienstag in Berlin anlässlich der Veröffentlichung. Diese Kräfte würden auf komplexe Herausforderungen vermeintlich einfache Antworten geben und dabei Hass und Hetze verbreiten. Im Dezember 2023 hatte sich die Erklärung der Menschenrechte zum 75. Mal gejährt.
Den Nährboden für Populisten bereiteten wirtschaftlich schlechte Zeiten mit wachsender sozialer Ungleichheit, Unsicherheit und Zukunftsängsten, erklärte Duchrow. Die Klimakrise wachse sich immer deutlicher zu einer Menschenrechtskrise aus und verstärke ebenfalls globale Ungleichheiten. Populisten griffen derweil „die Idee gleicher Würde und gleicher Rechte aller Menschen in Wort und Tat an“. Und sie schafften „ein Klima, in dem Rassismus, Antisemitismus und Gewalt gegen Minderheiten zunehmen“.
Dies zeige sich auch in Deutschland, wo die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete im vergangenen Jahr um mehr als zwei Drittel gestiegen sei, so die Amnesty-Generalsekretärin. Auch hätten die Zahl rechtsextrem motivierter Straftaten und Hasskriminalität deutlich zugenommen – und dabei insbesondere antisemitische und antimuslimische Taten. „Deutschland erkennt strukturellen Rassismus nicht ausreichend an und tut zu wenig, um Menschen vor Hasskriminalität zu schützen.“ Auch würden unliebsame Proteste eingeschränkt oder verboten, zum Beispiel Demonstrationen, die sich solidarisch mit den Palästinensern zeigten. Positiv sei dagegen, dass es in Deutschland endlich einen Polizeibeauftragten gebe.
Bundesregierung schweige zu Kriegsverbrechen der israelischen Armee
Weltweit werde die auf den universellen Menschenrechten fußende internationale Ordnung heute offensiv infrage gestellt, sagte Duchrow weiter. Dies zeige sich etwa am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, am Schweigen zu Chinas Umgang mit der Minderheit der Uiguren oder am Umgang mit Israels Militäroffensive im Gazastreifen. Auch die Bundesregierung schweige zu Kriegsverbrechen der israelischen Armee und verspiele damit ihre Glaubwürdigkeit, meinte die Generalsekretärin. „Doppelstandards vertragen sich nicht mit der menschenrechtsbasierten Außenpolitik, die Annalena Baerbock angekündigt hat.“
Amnesty: keine Waffen an Israel und andere Konfliktländer
Die Bundesregierung müsse sich für einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln im Gaza-Konflikt einsetzen. Und sie dürfe keine Waffen an Israel und andere Konfliktländer liefern, wenn die Gefahr bestehe, dass damit Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen begangen werden.
Der Jahresbericht von Amnesty International untersucht die Entwicklung der Menschenrechte in 155 Ländern. Dabei hebt die Organisation für das Jahr 2023 besonders vier negative Punkte hervor: die zunehmende Schutzlosigkeit von Zivilisten in bewaffneten Konflikten, Rückschläge bei der Geschlechtergerechtigkeit, Angriffe auf Menschenrechtsaktivisten sowie Risiken durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Überwachungstechnologien.
Die Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter von Amnesty International in Deutschland, Lena Rohrbach, ergänzte, dass die Algorithmen Sozialer Netzwerke wie Facebook emotional aufhetzende Postings bevorzugten und so mitunter Gewalt gegen Zivilisten anfeuerten. Zudem werde Künstliche Intelligenz gegen Frauen eingesetzt: Im Iran hätten die Behörden beispielsweise angekündigt, durch Gesichtserkennung mittels KI Frauen identifizieren zu wollen, die sich der Zwangsverschleierung widersetzen.