1.700 Jahre jüdisches Leben – Erinnerung und Versöhnung
1.700 Jahre jüdisches Leben
Die Ausstellung „Lebenszeichen“ in der Paderborner Herz-Jesu-Kirche erinnert an 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Vier Künstler aus Ostwestfalen arbeiten mit ihren Werken Geschichte und Gegenwart, Verfolgung und Ermordung der jüdischen Minderheit in Westfalen auf.
321 erwähnt ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin zum ersten Mal eine jüdische Gemeinde in Köln. Es gilt als ältester Beleg jüdischen Lebens nördlich der Alpen. Aus diesem Anlass hat die Bundesrepublik im Jahr 2021 das Festjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gefeiert.
Mit coronabedingter Verzögerung nimmt auch Paderborn an diesem Festjahr teil, das wegen der Pandemie bis Mitte 2022 verlängert wurde. Die am vergangenen Sonntag in der Herz-Jesu-Kirche eröffnete Ausstellung „Lebenszeichen“ ist bis zum 16. Dezember zu sehen.
Jüdisches Geschichte in Paderborn
Auch Paderborn hat eine jüdische Geschichte. Schriftlich erwähnt wird ein jüdischer Bewohner Paderborns um 1342. Wahrscheinlich wurden Juden auch hier im 14.Jahrhundert Opfer der Pogrome, die auf Verdächtigungen folgten, Juden seien verantwortlich für die Pest. Erst 1661 erhielt die jüdische Minderheit einen rechtlichen Status, bistumsweit konnten sich sogenannte „Schutzjuden“ den Beistand des Landesherren oder der jeweiligen Stadt erkaufen. Volle Gleichberechtigung vor dem Gesetz erlangten Juden erst ab 1815 unter preußischer Verwaltung.
Auf diese Geschichte geht die Ausstellung in der Herz-Jesu-Kirche nicht ein, auch wenn sich die Künstler auf Spurensuche machen. Aber der Alltag und das jüdische Leben spielen in ihren Arbeiten eine wichtige Rolle. Der Bildhauer und Holzkünstler Gottfried Strathmeier hat sich mit dem Münsteraner Mundartdichter Eli Marcus beschäftigt. Seine beiden Holzskulpturen setzen sich massiv und doch spielerisch mit der christlichen Umgebung in der Kirche auseinander.
Theodor Rotermund hat großformatige Fotos an der Umfassung der Orgelbühne befestigt. Sie zeigen Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen: ein farbiger Schmuck für die Kirche. Auf die jüdische Geschichte und jüdische Traditionen bezieht sich auch die Paderborner Künstlerin Mona Schäfer. Sie hat eine Laubhütte in der Kirche aufgebaut, so wie religiöse Juden sie während des Laubhüttenfestes errichteten– vergleichbar mit dem christlichen Erntedankfest.
1.700 Jahre jüdisches Leben – Eine symbolische Abbitte
Die aktuellste Arbeit liefert Bernd Ackehurst. Sein Video zeigt einen fiktiven Stolperstein. Auf diese Fläche hat er Texte montiert: eine Aufzählung von mehr als 90 gewalttätigen Übergriffen auf jüdische Mitbürger. Der erste Eintrag datiert von 1952, der letzte fand im Oktober 2021 statt. Ackehurst erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber auch so überzeugt er mit seiner Arbeit. Der Künstler hat den Bildschirm vor einem Beichtstuhl positioniert, so als könne man auf diese Weise wenigstens symbolisch Abbitte für die Aufzählung schierer Bösartigkeit und Niederträchtigkeit leisten. An Versöhnung wagt man nicht zu denken, hat man die Texte des Videos gelesen.
Die Herz-Jesu-Kirche ist eine tatsächlich städtische Kirche. Sie liegt verkehrslärmumtost am Westerntor, einer Kreuzung von vier Hauptstraßen. Selbst hinter den dicken Kirchenmauern sind die Alltagsgeräusche zu hören. Die tagsüber immer offene Kirche wird von vielen Menschen besucht, die aus der Innenstadt kommen und Ruhe und Abstand suchen. Dieser Ort scheint besonders geeignet für die Ausstellung zu sein, weil er gleichzeitig spirituell und alltäglich wirkt, so wie es das jüdische Leben in Deutschland in seiner Vielfalt trotz aller Widerstände seit 1.700 Jahren ist.