75 Jahre Diözesanverband BDKJ – Gesellschaft gestalten, nicht Kirche

Begangen wurde das 75. Jubiläum des ­BDKJ am Gründungsort Hardehausen mit einem Gottesdienst und einer anschließenden Feier im Rahmen der BDKJ-­Diözesanversammlung. Aktive, Gäste und „Ehemalige“ formierten sich im Innenhof des Jugendhauses zu einer „75“, die deutlich machte, dass der Dachverband der katholischen Jugendverbände auch im „fortgeschrittenen Alter“ sehr lebendig ist.Begangen wurde das Jubiläum des ­BDKJ am Gründungsort Hardehausen mit einem Gottesdienst und einer anschließenden Feier im Rahmen der BDKJ-­Diözesanversammlung. Aktive, Gäste und „Ehemalige“ formierten sich im Innenhof des Jugendhauses zu einer „75“, die deutlich machte, dass der Dachverband der katholischen Jugendverbände auch im „fortgeschrittenen Alter“ sehr lebendig ist. (Foto: BDKJ)

„Christus lebt in deutscher Jugend“ hieß es einst, heute lautet der Slogan des BDKJ: „katholisch. ­politisch. aktiv.“ Vor 75 Jahren wurde der Diözesanverband des Bundes der Deutschen ­Katholischen Jugend in Hardehausen gegründet. Ein Gespräch über kontinuierliche Veränderungen. Mit Bernadette Grawe und Jan Hilkenbach sprach Claudia Auffenberg.

Herr Hilkenbach, der ­BDKJ wird 75. Gibt es irgendwelche Alters­erscheinungen?

Hilkenbach: „Nein, das ist ein Vorteil von Jugendverbandsarbeit: Junge Menschen prägen und verändern die Jugendverbände fortlaufend. Selbstbestimmt werden Themen bearbeitet, Ideen umgesetzt und der Glauben gelebt. Gewisse Themen und Diskussionen dürfen im Jugendverband auch wieder kommen, aber sie werden in jeder Zeit unterschiedlich beantwortet.“

Frau Grawe, was war zu Ihrer Zeit das Anliegen des ­BDKJ?

Grawe: „Das war vor allem, die jungen Leute aufmerksam zu machen auf politische, gesellschaftliche und kirchliche Fragen. Wir wollten sie in Gruppen zusammenbringen, damit sie sich miteinander auseinandersetzen, um zu ihrer eigenen, jugendgemäßen Identität zu finden. Jugendliche müssen eine Beziehung zum anderen oder auch zum eigenen Geschlecht finden. Sie müssen eine berufliche Identität entwickeln, ein gesellschaftliches Selbstbewusstsein. Sie müssen sich von den Eltern ablösen. All das sind zentrale und massive Herausforderungen in dieser Lebensphase, für die Reflexionsräume gebraucht werden, die eben nicht nur schulisch oder familiär organisiert sind. Dafür braucht es den ­BDKJ.“

Solche Räume gibt es heute im Internet, oder?

Hilkenbach: „An vielen Stellen vermischen sich digitale und analoge Lebenswelten. Deswegen braucht es heute einen Jugendverband, der analog und digital erlebt und gestaltet werden kann. Das analoge Erleben bleibt für Kinder und Jugendliche aber ganz wichtig. Eine Jugendfreizeit kann ich nicht digital durchführen. Und während Corona haben sich Gruppenstunden ausschließlich im digitalen Raum nicht lange halten können. In Gegenwart und Zukunft brauchen wir digital und analog.“

Während der Pandemie wurden Kinder häufig nur als Schülerinnen und Schüler gesehen. Diesen defizitären Blick hat der ­BDKJ massiv kritisiert.

Hilkenbach: „Definitiv und wir kritisieren einen solchen Blick weiterhin. Es wird viel von Kinder- und Jugendbeteiligung geredet, aber wie es darum wirklich bestellt ist, zeigt sich in der Krise. Da haben wir während Corona gesehen, dass die existierenden Instrumente nicht krisenfest sind und nicht ausreichen. In den ersten Monaten der Pandemie wurde über Kinder und Jugendliche gar nicht gesprochen und später nur in ihrer Rolle als Schülerinnen und Schüler. Erst nach und nach wurde deutlich, dass es um mehr geht als Schule und Betreuung. Junge Menschen werden mit ihren Wünschen und Sorgen kaum gehört. Es wird immer noch viel zu häufig über Kinder und Jugendliche gesprochen statt mit ihnen. Wir fordern auf allen politischen Ebenen eine krisenfeste und wirksame Kinder- und Jugendbeteiligung.“

Interessieren sich die Jugendlichen heute noch für die Politik? Noch sitzen in den Parlamenten Menschen aus katholischen Verbänden, aber ihre Zahl nimmt ab.

Hilkenbach: „Die klassische Parteiarbeit interessiert viele Jugendliche nicht mehr so wie früher. Aber daraus kann man nicht ableiten, dass junge Leute heute unpolitischer sind. Wie sehr sie inte­ressiert sind, sieht man an vielen Stellen, jetzt akut beim Thema Frieden, beim Thema Klima oder wenn es um soziale Gerechtigkeit geht. Junge Menschen sind sehr an dem interessiert, was in ihrem eigenen Umfeld passiert, entgegen manchem Vorwurf kreisen sie nicht nur um sich selbst.“

Aber „Fridays for Future“ ist keine Initiative, die aus dem ­BDKJ erwachsen ist.

Hilkenbach: „Die Initiative ist gegenüber allen Verbänden, Parteien und möglichen Verzweckungen sehr autark unterwegs. Das finde ich auch gut! Inhaltlich gibt es natürlich große Überschneidungen, denn die Bewahrung der Schöpfung ist uns in den Jugendverbänden sehr wichtig. Viele Ortsgruppen der Jugendverbände starten eigene Aktionen und beteiligen sich an Demonstrationen.“

Grawe: „Dass die politische Vertretung zunächst in den Parteien gelandet ist und sich später wieder entfernt hat, hatte auch mit der Finanzierung der Jugendarbeit zu tun, die sich mit dem Neoliberalismus grundlegend geändert hat. Früher hatten wir Jugendhilfepläne, an denen wir mitgearbeitet haben. Inzwischen werden stärker Projekte gefördert. Wenn man in Jugendhilfeausschüssen mitarbeiten muss, um Gelder zu akquirieren, dann erkennt man automatisch, wie unser Gemeinwesen aufgebaut ist. Das Mitwirken Jugendlicher in den politischen Gremien war immer mein Interesse. Deswegen habe ich früh mit dem damaligen Referenten Bernd Zimmermann entsprechende Schulungen angeboten. Welche Rolle spielt das heute noch?“

Hilkenbach: „Diese Schulungen, etwa zur Arbeit im Jugendhilfeausschuss, bieten wir natürlich immer noch an, teils zusammen mit anderen Trägern. Die politische Interessenvertretung von Jugendverbänden und jungen Menschen ist für mich einer der Grundaufträge des ­BDKJ. Aber man muss auch sagen: Die Lage ist für uns deutlich schwieriger geworden, weil die Bereitschaft, sich auf solche oft jahrelange Gremienarbeit einzulassen, insgesamt gesunken ist. Außerdem gibt es verkürzte Ausbildungszeiten und eine größere Mobilität bei Jugendlichen, wodurch die langfristige Bindung an einem Ort sinkt. Das verändert die Formen des Engagements. Und dann kommt noch die Lage der Kirche hinzu, wodurch die Vertretungsarbeit natürlich schwieriger wird. Corona hat es auch nicht gerade leichter gemacht, wobei wir momentan viele Aufbrüche sehen.“

Frau Grawe, Herr Hilkenbach hat die Krise der Kirche angesprochen. Das kennen Sie doch auch: Streit mit den Bischöfen?

Grawe: „Früher hatte die Kirche eine enge Liaison mit der CDU. In den 1980er-­Jahren gab es dann heftige Konflikte mit den Grünen, die damals neu waren. Kardinal Höffner erklärte, das Tischtuch zwischen den Bischöfen und den Grünen sei zerschnitten. 1988 wurde bei der BDKJ-­Hauptversammlung ein Grüner zum Vorsitzenden gewählt. Da­raufhin erklärte der damalige Jugendbischof in der Versammlung, das gehe nicht. Das war ein echtes Dilemma. Der Mann war gewählt und nun drohten die Bischöfe, etwa mit dem Entzug der Finanzen. Die Versammlung, 120 Leute, hat zehn Minuten geschwiegen. Was tun? Es wurde ein kommissarischer Vorstand mit mir als Vorsitzende gewählt, nachdem der Grüne zurückgetreten war. Auch bei anderen Konflikten haben die Bischöfe nicht gezögert, Finanzierungsfragen zu stellen. So sind damals Konflikte geregelt worden.“

Die Zeiten sind aber heute vorbei, oder?

Hilkenbach: „So massiv mit dem Entzug der Finanzmittel wird heute nicht mehr gedroht. Im Erzbistum Paderborn ist dies heutzutage kein Thema. Aber inhaltliche Konflikte und Meinungsverschiedenheiten haben wir natürlich nach wie vor.“

Grawe: Was für Konflikte sind das, das würde mich interessieren.

Hilkenbach: „Etwa die Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt. Seit 2010 ist aus unserer Sicht zu wenig geschehen und da stellt sich natürlich die Frage, ob die Kirche wirklich in der Lage ist, sich selber aufzuarbeiten. Meinungsverschiedenheiten gibt es auch zu allen Themen des Synodalen Weges. Wir vom ­BDKJ treten für eine Kirche ein, die sich deutlicher an dem orientiert, was uns Jesus vorgelebt hat und weniger an dem, was an Vorgaben und Einengungen über Jahrhunderte hinzugekommen ist. Wir sind ein Teil von Kirche, deswegen wollen wir Kirche gut gestalten, damit sie das Leben der Menschen bereichert – im Sinne des Evangeliums.“

Grawe: „Ich kann das ehrlich gesagt nicht mehr hören: „Kirche gestalten“. Das ist für mich nicht die Richtung. Für mich ist wichtiger: die Gesellschaft gestalten – da gibt es genügend Herausforderungen. Die Kirche baut sich schon selbst auf, wenn wir die Gesellschaft gestalten, in dem Sinne: „Sorget zunächst für das Reich Gottes, alles andere wird euch dazu gegeben werden …“ Das ist doch eine unglaubliche Utopie!“

Hilkenbach: „Natürlich geht es auch darum, Gesellschaft zu gestalten, das tun wir ja an vielen Stellen. Demnächst wird wieder eine 72-Stunden-­Aktion geplant. Beispielsweise ist uns auch die Geschlechtergerechtigkeit ein wichtiges Anliegen, sodass wir gesellschaftliche Fragen bearbeiten und prägen. Aber wir sind eben auch eine Organisation, die das K im Namen trägt und gerne Teil von Kirche ist. Als solche werden wir im gesellschaftlichen Raum zunehmend angefragt. Mittlerweile müssen sich Gruppenleitungen für Kardinal Woelki rechtfertigen, mit dem sie beileibe nichts zu tun haben. Eltern fragen unsere Ehrenamtlichen, die in Sachen Prävention gut geschult sind, ob sie ihre Kinder bei einem katholischen Verband in die Ferienfreizeit mitschicken können. Also: mitgefangen, mitgehangen.“

Ein großes gesellschaftliches Problem ist das Auseinander­driften. Im ­BDKJ sind nun sehr verschiedene Jugendverbände, von der Pfadfinderinnenschaft St. Georg (­PSG) bis zum Bund der St.-Sebastianus-­Schützenjugend (­BDSJ). Wie gelingt da der Zusammenhalt?

Grawe: „Ich kann inzwischen 50 Jahre Jugendverbandsarbeit überblicken und natürlich hatten wir auch Konflikte und Differenzen. Die aber waren gehalten durch eine gemeinsame Kultur. Wir brauchen eine Art von Konfliktbewältigung, die aus der biblischen Botschaft kommt: Liebe deine Feinde, nimm den anderen ernst – auch in der Auseinandersetzung. Wenn ich auf mein eigenes Leben zurückblicke, gibt es da sehr beeindruckende Priester, die für mich wichtige Meilensteine gesetzt haben. Gibt es diese begleitende Grundmelodie noch, damit Leute sich damit identifizieren können? Die Leitung – Laien und Priester – dürfen sich nicht von dieser Idee verabschieden.“

Herr Hilkenbach, spielt die Bibel im ­BDKJ noch eine Rolle?

Hilkenbach: „Definitiv! Der Glauben und die Bibel sind ein sehr wichtiges Handlungsmotiv in unseren Verbänden. Wir haben mit manchem in unserer Kirche ein Problem, aber die Bibel und die Frohe Botschaft haben bei uns immer einen zentralen Platz. Aber die Zeiten ändern sich, es gibt heute kaum noch Priester, die mit ins Zeltlager fahren. Wir im ­BDKJ haben in der Position der geistlichen Leitung eine Theologin, die sehr authentisch ihren Glauben lebt und sich entsprechend in den Verband einbringt. Aber wir wollen den Glauben nicht nur über geistliche Leitungen, sondern über unser ganzes Handeln transportieren.“

Frau Grawe, gibt es etwas, für das Sie dem ­BDKJ dankbar sind?

Grawe: „Ja, ich verdanke dem ­BDKJ sehr viel, wahrscheinlich auch meine Gruppenkompetenzen. Aber auch dies: Von einem Treffen der ­KSJ in einem Jugendraum in Haus Füchten, in der Nähe von Werl, habe ich einen Satz mitgenommen, der zu meinem Lebensmotto geworden ist: „I want to enable people“, also: Ich möchte Menschen befähigen.“

Herr Hilkenbach, Sie sind noch aktiv. Sehen Sie trotzdem schon etwas, das Sie mitnehmen möchten, wenn Sie mal den ­BDKJ verlassen?

Hilkenbach: „Das ist so unglaublich viel! Diözesanvorsitzender zu sein ist für mich ein Traumberuf auf Zeit. Ich darf mit so vielen unterschiedlichen Menschen die Jugendverbandsarbeit gestalten, ich habe Kirche ganz neu kennenlernen dürfen und persönlich kann ich hier natürlich auch unglaublich viele Kompetenzen erwerben. Die Zeit beim ­BDKJ und in den Jugendverbänden insgesamt wird für mich immer sehr wertvoll bleiben.“ 


Prof. Dr. Bernadette Grawe war von 1985 bis 1990 Diözesanvorsitzende des BDKJ, danach leitete sie die Dokumentationsstelle für kirchliche Jugendarbeit in Hardehausen. Von 2005 bis 2017 lehrte sie an der KatHO NRW Soziale Arbeit. Heute arbeitet sie freiberuflich als Supervisorin. Jan Hilkenbach ist seit 2018 Diözesanvorsitzender. Der Politikwissenschaftler leitet den Verband gemeinsam mit Annika Manegold und der Diözesanseelsorgerin Helena Schmidt. (Foto: Andreas Wiedenhaus)

Weitere Berichte zur katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn finden Sie in der aktuellen DOM-Ausgabe. Schauen Sie mal rein, es lohnt sich bestimmt.

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