19.12.2021

Alles Gute kommt von oben – aber nicht von oben herab

Parfüm, das ideale Last-minute-Geschenk. Foto: iStock

Ja, der Geschenkerummel. Alle Jahre wieder liegt zwischen „Das Wichtigste ist doch was anderes!“ und „Diesmal schenken wir uns aber wirklich nix“ der Gang in die gut sortierte Parfümerie. Hier gibt’s das ultimative Last-minute-Geschenk für die Dame und den Herrn, auch in Unisex-Ausführung.

Christinnen und Christen wissen, dass das nicht das Wesentliche des Weihnachtsfests ist. Denn sie wissen mit dem Verfasser des Jakobusbriefs: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben und steigt herab vom Vater der Lichter, bei dem es keinen Wandel und keinen Schatten von Veränderung gibt“ (Jak 1,17). Dagegen können wir doch eh nicht an-duften!

Geben als Ausdruck göttlicher Macht

Von den überreichen Gaben Gottes, die uns einfach gegeben werden, erzählt auch Psalm 104: „Du öffnest deine Hand und sie werden gesättigt mit Gutem.“ Darauf gibt es keine Erwiderung auf Augenhöhe, wohl aber Antwort in Lob und Dank. Zu allen Zeiten der Kulturgeschichte haben Menschen solches Geben aus der Fülle als göttliche Zuwendung verstanden, als Ausdruck göttlicher Macht.

Geben als Machtdemonstration der Reichen

Kein Wunder, dass die Reichen und Mächtigen der Welt diese göttliche Largitio (lat. Freigebigkeit) nachahmen wollen. Die weltliche Largitio ist schon in der Spätantike fest ins politische System eingebunden. Bei öffentlichen Triumphzügen werden Geld und Leckereien geworfen. Bezeichnenderweise heißen diese Gaben Missilia (lat. Wurfgeschosse). Es ist ein Geben, auf das es keinen Rechtsanspruch und auch keine angemessene Erwiderung gibt. Aufseiten der Nehmenden braucht es im Grunde nur den Zuschauer. Diese Umzüge sind eine Machtdemonstration des göttlich legitimierten Herrschers. So wie in der Salbungs- und Krönungszeremonie die Gnade Gottes auf den weltlichen Herrscher herabströmt, so strömt nun der herrscherliche Geldsegen auf das Volk hernieder. Im Vorbeizug Gold und Silber regnen zu lassen, beim Auftreten des Herrscherpaars Leckereien zu werfen, das kennt man hierzulande nur noch im Karneval. Aber wer je Kamellen an den Kopf bekam, weiß, wie schmerzhaft das Gute sein kann, das da von oben kommt. 

Widerstand gab es bereits im Mittelalter

Derartiges Geben wird schon im Mittelalter innergesellschaftlich wie innerkirchlich durchaus kritisch gesehen. Bernhard von Clairvaux empört sich im 12. Jahrhundert über Umzüge zur Inthronisation von Bischöfen. Er beklagt, dass das Brot der Armen mit vollen Händen in die Straßen geworfen werde, welche die Reichen bewohnten. Die Geldstücke würden nicht erbeutet von den Ärmsten, sondern von den Stärksten oder Geschicktesten. Bernhard verwahrt sich gegen mögliche fromme Verbrämungen. Diese Form der Freigebigkeit und die durch sie ausgelöste Gier hätten nichts zu tun mit christlicher Caritas, sondern dienten allein der Selbstdarstellung. 

Geben wird zum Spiel mit den Bedürftigen

Im 17. und 18. Jahrhundert ergötzen sich die Hochgestellten nicht mehr am eigenhändigen Austeilen, sondern lassen Gaben im öffentlichen Raum auslegen und erfreuen sich von Fenstern und Balkonen am Schauspiel, das ihnen die streitenden Armen und Bettler bieten, die auf Naschwerk und Tand losgelassen werden. Es gibt Verletzte, es gibt Tote. Kein Grund zunächst, auf derartige Lustbarkeiten zu verzichten. Das 19. Jahrhundert bringt insofern einen Wandel, als man vorgeblich wirklich nur Gutes tun will, wenn man die Bedürftigsten mit den Resten großer Bankette beglückt. Man schaut auch nicht mehr zu, wundert sich aber über die Haltlosigkeit der elenden Unterschicht, die sich um angenagte Knochen balgt wie eine Hundemeute. Sozialethische Projekte der Moderne kritisieren immer auch dies: die Vorstellung, dass Wohltätigkeit das Ausstreuen der Brocken vom Tische der Reichen ist.

Jakobusbrief fordert christliche Haltung ein

Auch der Verfasser des Jakobusbriefs hat dies im Blick, wenn er die christliche Gemeinde ermahnt, beim eucharistischen Mahl die Reichen nicht zu bevorzugen, niemand zurückzusetzen und überheblich zu behandeln. Das Gute kommt von oben, aber nicht von oben herab. Jakobus hat nichts gegen Gaben, nichts gegen das Tun der Liebe. Im Gegenteil: Der Glaube ohne Werke erscheint ihm als „tot“. Aber er verweist uns darauf, dass wir geben können, weil uns zuerst gegeben wurde in der überströmenden göttlichen Freigebigkeit.

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