Als es Frühling war
Vielleicht nimmt man sich eine Bibel, geht in eine Kirche und liest dort noch einmal die ersten Kapitel des Markus-Evangeliums, also das, was in den vergangenen Wochen sonntags im Gottesdienst verkündet wurde. Dort wird das öffentliche Wirken Jesu in Galiläa erzählt, „galiläischer Frühling“ nennen die Theologinnen und Theologen das. Foto: Aniket Bhattacharya/ unsplash
Die katholische Kirche ist ja im Grunde ein Dorf. Wer wie unsereins seit Jahrzehnten nicht nur sonntags dabei ist, der kennt viele Menschen auf verschiedenen Etagen, innerhalb und außerhalb des eigenen Bistums. In der Synodalversammlung sitzen also diverse Bekannte, und so hatte man sich Donnerstag und Freitag darauf eingerichtet, einige von ihnen zu hören. Dann der Schock! Ja, da redet als Erstes am Donnerstagabend einer, den man lange kennt, aber er redet nicht als Synodaler, sondern als jemand, der vom sexuellen Missbrauch in der Kirche betroffen ist. Noch während er spricht, schreibt man ihm über Facebook: „Du???“ Er schreibt zurück: „Wird Zeit, dass das alles rauskann.“
Später ein – sagen wir: – irritierender Auftritt von Kardinal Woelki. Er sitzt etwas hilflos vor seinem Laptop, gut, er ist ein älterer Herr, vielleicht nicht der Technikaffinste von allen, er ringt sichtlich um Worte und sagt, was am Donnerstagvormittag schon durch die Presse ging. Heuchelei und Unehrlichkeit, sagen manche später, einem selbst kommt eher das Wort „Realitätsverlust“ in den Sinn. Er entschuldigt sich für die Fehler bei der Missbrauchsaufarbeitung, erneuert sein Versprechen, auch persönlich Verantwortung zu übernehmen, und sagt, er tue das alles für die Betroffenen. Wie bitte …?
Zu allem Überfluss liegen noch zwei Bücher in der Redaktion, die einem das Katholischsein auch nicht gerade erleichtern. In dem einen erzählen Frauen, die gern Priesterin geworden wären, in dem anderen erzählen Frauen, wie sie als Erwachsene in der Kirche geistlich und sexuell missbraucht worden sind. Herausgegeben wurde das eine Buch von einer älteren Ordensfrau, das andere vom Katholischen Deutschen Frauenbund. Über beide hatten wir schon berichtet.
Am Freitagabend in der heute-show geht es auch um Woelki. Als biblischer Prophet gewandet, tritt Gernot Hassknecht auf, der lärmige Giftzwerg, und ruft: „Der Laden ist unreformierbar!“ Das hört man nicht zum ersten Mal und nicht nur im Fernsehen. Und manchmal beschleicht einen die schreckliche Furcht, da könnte was dran sein.
Was tun? Vielleicht nimmt man sich eine Bibel, geht in eine Kirche und liest dort noch einmal die ersten Kapitel des Markus-Evangeliums, also das, was in den vergangenen Wochen sonntags im Gottesdienst verkündet wurde. Dort wird das öffentliche Wirken Jesu in Galiläa erzählt, „galiläischer Frühling“ nennen die Theologinnen und Theologen das. Es geht um einen Mann, der von Gott und der Liebe zu den Menschen ergriffen war und dem man das angemerkt hat. Von überallher kamen die Leute zu ihm, erzählt etwa das heutige Evangelium. So hat es mal angefangen.
Ihre
Claudia Auffenberg