11.12.2015

Alternativen zum „Weihnachtsgeklingel“

Die jungen Sängerinnen der Mädchenkantorei des Paderborner Dom. Foto: Jan Braun

Erzbistum. Von der sogenannten „Volksmusik“ über Schlager bis Pop: Schon im Advent wird man allerorten mit weihnachtlicher Musik beschallt. Eine Klangkulisse, der man sich kaum entziehen kann. DOM-Redakteur Andreas Wiedenhaus sprach mit Dom-Kantorin Gabriele Sichler-Karle (Foto) über musikalische „Gegenentwürfe“ zu diesem Trend und über die Vorbereitungen für das anstehende Weihnachtskonzert der Paderborner Dommusik.

DOM: Frau Sichler-Karle, wie oft haben Sie Bachs Weihnachtsoratorium schon aufgeführt? Gehört es zum Weihnachtsfest einfach dazu?

Sichler-Karle: Konzertant habe ich es noch nicht aufgeführt, sondern immer in Teilen. Das Oratorium besteht ja aus sechs Kantaten, die für die verschiedenen Tage, beginnend mit dem ersten Weihnachtsfeiertag bis zu Epiphanie, geschrieben wurden. So lassen sie sich sehr gut in die Liturgie einbinden. In diesem Werk Bachs ist das Weihnachtsgeschehen vertont – von daher widerstrebt es einem Kirchenmusiker ein wenig, es schon vor Weihnachten aufzuführen. Aber der allgemeine Trend geht in diese Richtung: Für viele ist Weihnachten fast schon nach dem ersten Feiertag vorbei. Vor dem Hintergrund, dass man mit einem solchen Konzert auch eine Botschaft vermitteln kann, muss man sich ein wenig damit arrangieren. Aber wie gesagt, das Weihnachtsoratorium ist ein wundervolles Werk, in diesem Fall wird es uns zum Weihnachtsfest hinführen.

Und was geschieht mit der adventlichen Musik?

Wir haben einen wirklich reichen Schatz davon. Wohl allerorten achten nicht nur die Kirchenmusiker darauf, die adventlichen Werke eher zu Beginn dieser geprägten Zeit des Kirchenjahrs aufzuführen, die darin eben auch wieder aufs Neue zu ihrem Platz kommen soll.

Zu Weihnachten besuchen ja auch viele Menschen die Gottesdienste, die sonst keine regelmäßigen Teilnehmer sind – ist das mit Blick auf die Musik auch eine Chance?

Ich sehe das als große Chance an, weil sich Menschen über die Musik auch von der Botschaft, die dahinter steckt, faszinieren lassen, und diese auch verinnerlichen – ohne dass man das aussprechen müsste.

Sind Emotionen, die von Musik ausgelöst werden, besonders stark?

Musik ruft immer tiefere Emotionen hervor, als nur die vom Verstand erfassten. Deshalb ist es eine gute Möglichkeit, christliche Inhalte, Werte und Aussagen zu vermitteln, sich von ihr ansprechen und in der Tiefe der Seele berühren zu lassen.

Was zeichnet speziell Bach da besonders aus?

Bach war in der Kirchenmusik einfach rundum zu Hause. Er war ein Vielschreiber im positiven Sinne: Über Jahre hinweg hat Bach für jeden Sonntag eine zu den Lesungstexten aus der Bibel passende Kantate geschrieben. Er hat einfach liturgischen Bezug – bei allem Kunstvollen, was seine Musik auszeichnet. So gesehen ist er ein Idealfall für die Kirchenmusik.

Sicherlich gibt es bei Gottesdienst- und Konzertbesuchern in der Advents- und Weihnachtszeit eine besondere Erwartungshaltung – wie geht man damit um?

Verantwortung ist für mich hier ein wichtiger Aspekt. Etwa, wenn man der Erwartung, schon in der Adventszeit alle Weihnachtslieder zu hören, künstlerisch etwas entgegensetzt. Auch das ist ja eine Möglichkeit im positiven Sinne: Sich von diesem Weihnachtsgeklingel, wie ich es nennen möchte, abzusetzen. Nämlich durch die Qualität der Stücke und die reflektierte Art und Weise die Inhalte dem Zuhörer nahezubringen. Das setzt sich ab von dem, was ringsum zum Beispiel auf den Weihnachtsmärkten zu hören ist; vermittelt dem Publikum aber trotzdem ein adventliches bzw. weihnachtliches Gefühl jenseits von „Süßer die Glocken nie klingen“.

Das ist ein gutes Stichwort: Unterfordert das Süßlich-Kitschige die Zuhörer nicht auch?

Die Erfahrung zeigt, dass Zuhörer durchaus bereit sind, etwas anderes anzunehmen: Nicht umsonst sind die Weihnachtskonzerte der Dommusik immer schnell ausverkauft. Vielleicht, weil das Publikum die Alternative zu dem sucht, was sonst überall zu hören ist.

Mit Blick auf die mit den Konzerten verbundene Probenarbeit: Wie motiviert man in dieser von Stress und Hektik geprägten Zeit gerade die jüngeren Mitwirkenden?

Diese Zeit ist gerade in der Schule eine sehr intensive Phase mit vielen Klassenarbeiten und Klausuren. Das Pro­blem ist aber nicht, dass die Kinder und Jugendlichen nicht zur Probe kämen, sondern es liegt eher in der Befürchtung, sie zu überfordern. Für mich ist da eine gute und offene Beziehung miteinander hilfreich.

Eine Zwickmühle für Sie?

Der gute Probenbesuch in dieser Zeit zeigt aber deutlich, dass die jungen Menschen bereit sind, viel zu investieren, weil sie gefördert und gefordert werden. Und vielleicht auch, weil sie, wie ich zuweilen beeindruckt merke, genau das genießen, was ich angesprochen habe. Solche Musik in der Gemeinschaft und im Miteinander lebendig werden zu lassen. Ich glaube, das ist noch wichtiger als der Applaus, den es dafür gibt.

Auch als Kontrapunkt in dieser von Hektik und Stress geprägten Zeit?

Hektik hat in einer Probe nichts zu suchen! Stattdessen steht etwas im Mittelpunkt, was immer mehr verloren zu gehen droht: das intensive Zuhören! Denn vor dem Singen kommt das Hören. Um zuhö­ren zu können, braucht man Ruhe. Das nimmt die Hektik raus. Deshalb ist das erste, was die jüngeren bei uns lernen müssen – oder besser dürfen – ruhig zu sein und zuzuhören. Das ist nicht immer einfach.

Das Gefühl einer erfolgreichen Aufführung im Konzert oder Gottesdienst ist sicherlich etwas ganz Besonderes.

Die Kinder und Jugendlichen strahlen in solchen Momenten wirklich. Weil sie etwas erfahren, was sonst nicht so häufig passiert: Statt Faktenwissen abzuspeichern, um es kurzfristig abzurufen und eventuell schnell wieder zu vergessen, lernen sie hier, auf einem unter Umständen längeren Weg zu einem Ergebnis zu kommen, das dauerhaft positiv wirkt.

Die Hochfeste sind für Kirchenmusiker eine sehr intensive Zeit – wie feiern Sie Weihnachten?

Man muss sehr gut planen! Hier am Dom haben wir den Vorteil, dass wir zu dritt sind. Wer aber beispielsweise für mehrere Gemeinden zuständig ist, der hat sicherlich Stress an diesen Tagen. Alles muss perfekt organisiert sein – auch mit Blick auf die Familie, die stark gefordert ist.

Haben Sie ein musikalisches Lieblingsstück zur Advents- und Weihnachtszeit?

Da gibt es viele, die Fülle an Musik ist einfach riesig groß! Konkret zu Weihnachten ist es der Choral „Ich steh an deiner Krippen hier“ in der Melodie-Fassung des „Schemellischen Gesangbuches“. Zu diesem Choral gibt es auch einen ganz persönlichen, für mich unvergesslichen Bezug aus meiner Familie heraus.

Stichwort: Bachs Weihnachtsoratorium

Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750) besteht aus sechs Teilen und wurde erstmals vom Thomanerchor Leipzig in den sechs Gottesdiensten zwischen dem ersten Weihnachtsfeiertag 1734 und dem Epiphaniasfest 1735 in der Leipziger Nikolaikirche und der Thomaskirche aufgeführt. Die zugrundeliegenden biblischen Texte stammen von den Evangelisten Lukas und Matthäus.Im Weihnachtskonzert der Paderborner Dommusik sind in diesem Jahr am Dienstag, 22. Dezember, um 19.30 Uhr im Dom, daraus die Kantaten IV bis VI zu hören. Ausführende sind neben namhaften Solisten Domkantorei und Mädchenkantorei sowie Mitglieder des Niedersächsischen Staatsorchesters und der NDR-Radiophilharmonie Hannover, die Leitung hat Gabriele Sichler-Karle. Karten im Vorverkauf und an der Abendkasse (Paderborner Ticket-Center, Marienplatz 2a, Tel: 0 52 51 / 29 97 50; www.paderborner-dommusik.de

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