Am Anfang ist der Pförtner
Pfingsten 1934 in Rom. Die äußerst symbolträchtige Heiligsprechung eines Deutschen steht an. Papst Pius XI. wendet sich an die Pilger: „Dann beglückwünschen wir ganz Deutschland, ganz besonders aber Bayern, in einer so ernsten geschichtlich-bedeutsamen und schweren Stunde, die es eben durchlebt; ernster und schwerer.
Wir glauben, es sagen zu können und zu müssen – für Bayern. Unser Gedanke schweift hin zu allen unseren lieben Söhnen der großen katholischen Familie in jenem großen Lande in jenem großen Volke; und wir freuen uns lebhaft über diese Fügung der göttlichen Güte, die gerade in solcher Stunde, da solche Gärung der Ideen und Bewegungen herrscht, solches Vorwärtseilen und Auf-Abwege-Kommen von nicht nur starken, sondern man kann sagen sturzbachähnlichen Strömungen, ein Vorbild zeigt und vor Augen führt, das so zugänglich ist für alle und so milde, so menschlich und zugleich christlich und dem Ordensstand entsprechend. […]“
Was der Papst hier in römisch-verklausierter Sprache sagen will, ist wohl ungefähr dies: Die Gigantomie, die sich gerade in Deutschland breitmacht, das Denken vom Herrenmenschen und vom unwerten Leben, ist ein fataler Irrweg.
Der neue Heilige ist genau das Gegenteil, nämlich ein bescheidener, demütiger und äußerst frommer Bruder Pförtner: Konrad von Parzham, bürgerlich Johann Birndorfer. Geboren wird er 1818 als elftes Kind einer Bauernfamilie in Parzham, der Hof trägt den Namen „Venus-Hof“, weswegen er als Kind „Venus-Hansl“ gerufen wird. Schon als Kind war er ungewöhnlich fromm. Bevor er über seinen Lebensweg entscheiden konnte, entschied das Leben für ihn: Seine Eltern starben früh und seine Geschwister machten ausgerechnet ihn zum Hoferben. Einige Jahre hielt er durch, dann war die Sehnsucht nach Gott stärker. Er verzichtete auf sein Erbe, trat bei den Kapuzinern ein und wurde 1852 Pförtner des Kapuzinerklosters in Altötting. Eine Aufgabe, die er 41 Jahre lang wahrnahm und die ihn ungeheuer populär machte. Er starb am 21. April 1894 und wurde in der Kirche seines Klosters beigesetzt, die heute Bruder-Konrad-Kirche heißt.
Wortkarg soll er gewesen sein, aber von „unbesiegbarer Güte“, wie es Papst Benedikt XVI. einmal formulierte. Jede freie Minute soll er zudem dem Gebet gewidmet haben und seine Sehnsucht nach der Eucharistie war so groß, dass er sie – anders als damals üblich – täglich empfangen durfte. Sicher eine Frömmigkeit, die einem heute fremd ist, jedenfalls in dieser Inbrunst. Und man könnte natürlich ein bisschen maulig einwenden, dass Leute wie er – demütig, still und fromm – der Kirche sowieso schon immer am liebsten waren, aber seine Heiligsprechung 1934 war auch ein politisches Signal. „Wehret den Anfängen“ ist eine der Lehren, die man in Deutschland aus dieser Zeit gezogen hat. Anders formuliert: Anfänge sind entscheidend. Manchmal ist der Anfang ein Mensch – ein gütiger, stiller Klosterpförtner.
Claudia Auffenberg