15.10.2021

Monat der Weltmission – Angst, Hoffnung und Gottesglaube

In der interreligiösen Fraueninitiative „Women‘s Interfaith Counci“ aus Kaduna, auch „Mütter für den Frieden“ genannt, engagieren sich 12.650 Christinnen und Musliminnen. Sie wollen nicht länger Opfer sein, sondern fordern ein friedliches Zusammenleben in ihren Gemeinschaften. (Fotos: Hartmut Schwarzbach)

Nirgendwo auf der Welt leben so viele Christen und Muslime in einem Staat vereinigt wie in Nigeria. Im Monat der Weltmission lenkt das Hilfswerk missio den Blick auf den interreligiösen Dialog in dem westafrikanischen Land. Missio möchte mit seiner Arbeit das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen fördern.

„Viele von uns leben in Angst, vor allem in der Angst, von islamistisch terroristischen Gruppierungen– wie der Boko Haram– entführt oder getötet zu werden. Wir müssen uns gut überlegen, zu welcher Tageszeit wir das Haus verlassen. Am Abend gehe ich niemals raus“, sagt der katholische Priester Gideon Pwakim (45) aus Nigeria. Und dafür gibt es genügend Gründe. Allein in den letzten drei Monaten seien im nordnigerianischen Erzbistum Jos fünf ihm bekannte Priester entführt worden. Niemand wisse, was aus ihnen geworden ist, erzählt Pwakim, der das kleine Priesterseminar im Erzbistum leitet.

Ähnlich wie ihm ergeht es Millionen Menschen in dem westafrikanischen Land, in dem die Mehrheit der 200 Millionen Nigerianer in bitterer Armut lebt. Obwohl das Land reich an Bodenschätzen ist, ist die Arbeitslosigkeit hoch und die Korruption uferlos. Verteilungskämpfe entladen sich in gewaltsamen, ethnisch-religiös gefärbten Konflikten. „Nirgendwo auf der Welt leben so viele Christen und Muslime in einem Staat vereinigt. Die Religion nimmt für die eine übergeordnete Rolle ein“, sagt missio-Diözesanreferent Christian Meier zum Monat der Weltmission.

Frieden braucht Dialogbereitschaft

Seit Jahrzehnten kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem Hirtenvolk der Fulani und dem Volk der Berom, den Bauern. Der Konflikt um Land und Weidefläche gewinnt zusätzlich durch die unterschiedliche Religionszugehörigkeit an Brisanz, denn die Fulani sind Muslime, die Berom überwiegend Christen. Pfarrer Pwakim, der Philosophie, Theologie und Missionswissenschaften studierte und an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt promovierte, weiß genau, worauf es ankommt, um die Spirale von Hass und Gewalt zu durchbrechen. „Frieden braucht die Bereitschaft, in den Dialog zu treten, den Willen zum friedlichen Zusammenleben und die Akzeptanz religiöser Unterschiede. Das Rezept für ein friedliches Zusammenleben ist der interreligiöse Dialog“, ist sich Pwakim sicher.

Dass ein solcher Dialog nicht nur ein Wunschgedanke bleiben muss, zeigen verschiedene Bestrebungen im Land. So weist der katholische Erzbischof Ignatius Kaigama seit Jahren auf die wahren Ursachen von Konflikten hin und sucht intensiv den Dialog mit muslimischen Führern. Durch seine Initiative entstand ein Dialog-, Versöhnungs- und Friedenszentrum, in dem sich regelmäßig Gruppen treffen, die früher verfeindet waren. Heute suchen sie gemeinsam nach Lösungen für Konflikte, bevor diese eskalieren.

Leidenschaft für den Frieden

Menschen, die von der Gewalt am meisten betroffen sind, arbeiten gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben. Gerade die Frauen haben durch die unzähligen Anschläge und militärischen Konflikte alles verloren. „Sie wollen nicht länger hinnehmen, dass ihre Kinder in gewaltsamen Konflikten sterben. Im ‚Women’s Interfaith Council‘ haben sich 11500 christliche und muslimische Frauen mit dem Ziel eines friedlichen Zusammenlebens und für mehr Mitsprache für Frauen zusammengeschlossen“, sagt Pwakim. Eine der Frauen ist die Katholikin und Mitbegründerin der Fraueninitiative, Elizabeth Majinya Abuk (64). Obwohl ihre vier Kinder, ihr Ehemann und ihre Schwester an nur einem Tag von den Boko Haram ermordet wurden, fasst sie jeden Tag aufs Neue den Mut weiterzumachen. „Ich habe eine Weile gebraucht, um mit mir ins Reine zu kommen“, sagt Abuk. Mittlerweile akzeptiere sie den Willen Gottes. Wegen ihrer Leidenschaft für den Frieden, mache sie immer weiter.

„Für viele Menschen ist dieses Weitermachen sicherlich schwer nachzuvollziehen. Aber für die Menschen in Nigeria gibt es keine Option“, schildert Pwakim die teils ausweglos klingende Lage. Für viele Menschen gibt es eine Hoffnung auf einen Ausweg. Allein über zehn Millionen Kinder leben auf der Straße. Sie haben noch nie ein Klassenzimmer von innen gesehen. Sie haben keine Zukunft, sie hungern, ebenso wie zig Millionen Familien in Nigeria. „Das Einzige, was ihnen bleibt, ist ihre Hoffnung auf Frieden und ihr Glaube“, sagt Pwakim.

Kirche zahlt kein Lösegeld für Priester

Seine Schilderungen des täglichen Lebens in Nigeria zeigen, dass Angst, Hoffnung und Gottesglaube sehr nah beieinander liegen. Auch Pwakim ist sich dessen bewusst, dass ihm täglich etwas zustoßen kann. „Der Erzbischof hat zu uns Priestern gesagt: ‚Seid vorsichtig! Passt auf euch auf. Solltet ihr von der Boko Haram entführt werden, so werden wir kein Lösegeld für euch bezahlen.‘ Diese Worte mögen hart klingen, sind aber nachvollziehbar“, sagt Pwakim, ansonsten würde die Terrororganisation noch mehr Menschen mit der Absicht einer Erpressung entführen. 

Auch wenn im Norden des Landes die Islamisten die Menschen terrorisieren und alles versuchen, um Religionsgemeinschaften zu spalten, so bemühen sich die Christinnen und Christen weiterhin, einen Dialog untereinander zu ermöglichen. Bischof Stephen Mamza ist so jemand, der sich nicht scheut, politische und gesellschaftliche Debatten zu führen. Er erntete eine Menge Kritik dafür, dass er in einem Dorf für geflüchtete Christen und Muslime neben einer Kirche eine Moschee errichtete. „Es gibt viele Regionen im Norden Nigerias, in denen Christen keine Kirchen bauen oder Land erwerben können, das darf nicht sein“, sagt Bischof Mamza. Mit dem Moscheebau hat der 51-Jährige ein politisches Zeichen setzen wollen, ein Zeichen für praktizierte religiöse Toleranz. Für viele Christinnen und Christen im Norden Nigerias, wo Islamisten die Menschen terrorisieren und alles versuchen, um Religionsgemeinschaften zu spalten, ein überlebenswichtiges Zeichen.

Monat der Weltmission

Nigeria steht in diesem Jahr im Mittelpunkt des Monats der Weltmission unter dem Leitwort „Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun“. Während der Aktionseröffnung zum Monat der Weltmission rief der Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck zur „Geschwisterlichkeit mit allen Menschen auf der Erde“ auf. „Wir alle dürfen als Christen Experten für die Menschlichkeit um Gottes Willen sein, weil es unsere Mission ist, das Gute zu tun.“ Es gehe darum, Not zu lindern und „alle Menschen zu Schwestern und Brüdern zu machen“. Diese Solidarität darf nach den Worten Overbecks nicht an den Grenzen der eigenen Religion enden. Die Christen sollten sich dabei aber als „Glaubende im Dialog“ verstehen. Die unterschiedlichen Kulturen dürften keine „parallel verlaufende Monologe“ führen. Vielmehr müsse „eine Kommunikation durch aufrichtigen Dialog und ein echtes Hören aufeinander“ Maßstab der Mission sein.

Von Patrick Kleibold

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