11.01.2017

„Auch ich kannte ihn nicht“

Eine Kirche besuchen und erklären, dazu bildet das Erzbistum Paderborn regelmäßig interessierte Menschen aus. Zurzeit läuft der neunte Kurs dieser Art. Das Bild zeigt eine Gruppe mit Kirchenführer Heinz-Georg Büker (2. v. l.). Foto: Michael Bogedain

Glauben heißt: Jesus immer mehr kennenzulernen und ihn anderen bekanntzumachen.

von Dr. Marc Retterath

„Auch ich kannte ihn nicht.“ Diesen Satz sagt Johannes der Täufer über Jesus. Auf den ersten Blick etwas unverständlich: „Erkannte“ nicht Johannes, der noch im Bauch seiner Mutter Elisabet war, den ebenfalls noch nicht geborenen Jesus, als Maria zu Besuch kam, indem er vor Freude hüpfte? Und die beiden waren ja Großcousins. Sie werden sich allein schon deshalb gekannt haben.

Doch wie oft kennen wir Menschen und kennen sie eigentlich doch nicht richtig. Dies erleben manche Brautleute auf besonders tragische Weise, wenn sie meinen, sich gut zu kennen, dann heiraten und später sagen müssen: „Erst in der Ehe habe ich ihn oder sie so richtig kennengelernt; erst da sind mir die Augen aufgegangen“ – Diese Aussage verheißt in der Regel nichts Gutes.

Können Sie sagen: Ich kenne Jesus? Nun, von Angesicht zu Angesicht, so wie die Apostel und seine Zeitgenossen ihn kennengelernt haben, kennen wir Jesus natürlich nicht. Kann man Jesus überhaupt richtig kennenlernen, wie man sonst einen Menschen kennt? Jesus ist Mensch und Gott zugleich, und Gott kann man nie ganz kennenlernen. Dafür ist er einfach viel zu groß und unser Verstand viel zu klein.

Aber vielleicht können wir sagen, dass wir wenigstens einiges von Jesus kennen: seine übergroße Menschenliebe und Güte, besonders den Benachteiligten gegenüber; seine Kraft, die Menschen zu heilen, nicht wie ein Wunderdoktor, sondern sie ganz heil zu machen; seinen Mut, Dinge zu hinterfragen; die besondere, göttliche Kraft seiner Lehre. Und vieles mehr. Gut ist es, wenn wir versuchen, ihn immer besser kennenzulernen, indem wir lesen und meditieren, was er gesagt hat.

Doch Jesus kennenzulernen ist nur der erste Schritt. Johannes sagt weiter: „Ich bin gekommen, … um Israel mit ihm bekanntzumachen.“ Ist das nicht auch unsere Aufgabe, Jesus bekanntzumachen? In früheren Zeiten war es völlig selbstverständlich und oft geübte Praxis, sich über Gott und den Glauben auszutauschen. Und das taten nicht nur die Wissenschaftler und Theologen, sondern auch die einfachen Leute auf der Straße. Und heute? Immer mehr Menschen kennen Jesus nur noch dem Namen nach und wissen sonst gar nichts von ihm. Gleichzeitig scheint es jedoch vielen Christen unangenehm zu sein, über so etwas Privates wie ihren Glauben zu sprechen und zu diskutieren. Oder sie halten sich für nicht geeignet, über Jesus Zeugnis abzulegen, von ihm zu erzählen, und überlassen das lieber den „Fachleuten“.

Dabei sind wir bei anderen Themen gar nicht so zurückhaltend mit unserer Meinung. Wir sagen oder hören ständig Sätze wie: „Ach, ich habe ein neues, sehr gutes Buch gelesen, das musst du auch lesen“ oder „Es gibt da eine neue Methode, wie man dieses Pro­blem lösen kann. Ich habe es selbst ausprobiert und erkläre dir gerne, wie es geht“. Oder, wer einen sehr guten Arzt gefunden hat, empfiehlt er ihn im Freundes- und Bekanntenkreis nicht weiter? Keiner muss ja dem Ratschlag folgen, aber für einen guten Tipp sind die Leute sehr dankbar.

Jesus bekanntzumachen, kann auf ganz einfache Weise geschehen: Indem zum Beispiel Großeltern ihren Enkeln aus der Bibel Geschichten über Jesus erzählen. Oder gemeinsam eine Kirche besuchen und manche Dinge dort erklären. Wenn Eltern mit ihren Kindern vor dem Zubettgehen beten. Oder wenn man im Freundes- und Bekanntenkreis bewusst auch religiöse Fragen und Themen anspricht.

Die Welt braucht unser Zeugnis von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus Mensch geworden ist.

Zum Autor: Pastor Dr. Marc Retterath ist Kirchenanwalt und Ehebandverteidiger am Erzbischöflichen Offizialat Paderborn und Seelsorger im Pastoralen Raum „An Egge und Lippe“.

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