29.06.2017

Bedrängtes, heiliges Kind

Darstellung der heiligen Maria Goretti. Foto: dpa

Es gibt Geschichten über Heilige und deren Verehrung, die einen mindestens irritieren – die der heiligen Maria Goretti zum Beispiel.

von Claudia Auffenberg

Beginnen wir mit den Fakten: Maria wird am 16. Oktober 1890 in der Nähe von Ancona, Mittelitalien geboren. Sie ist das dritte von sechs Kindern eines armen Landarbeiterehepaares. 1899 zieht die Familie um nach Nettuno, um mit einer anderen Familie, den Serenellis, eine kleine landwirtschaftliche Genossenschaft zu betreiben. Ein Jahr nach dem Umzug stirbt Marias Vater an Malaria. Diese Situation nutzt nun Serenelli junior anscheinend aus. Er bedrängt sie mehrfach, sie wehrt sich, bei einem dieser Vergewaltigungsversuche sticht er auf sie ein und verletzt sie lebensgefährlich. Maria stirbt am nächsten Tag im Krankenhaus, kurz vorher verzeiht sie ihrem Mörder noch. Es ist der 6. Juli 1902.

Der Täter wird zu 30 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Die Legende erzählt, dass er in der Haft von Maria träumt, wie sie ihm Blumen bringt. Er bereut schließlich seine Tat und wird 1928 vorzeitig entlassen. Marias Mutter gewährt ihm die erbetene Vergebung, Serenelli tritt kurz darauf als Laienbruder in den Kapuzinerorden ein.

1950 wird Maria von Pius XII. heiliggesprochen. Ihre inzwischen hochbetagte Mutter ist dabei, zudem mehr als eine halbe Million Gläubige. Erstmals findet in Rom eine Heiligsprechung auf dem Peters­platz statt und erstmals wird ein so junger Mensch heiliggesprochen.

Die Biografie der kleinen Maria ist eine erschütternde Geschichte, auch, weil sie sich seit jeher tausendfach wieder und wieder so ereignet. In vielen Ländern der Erde werden Kinder getötet, hingerichtet, gefoltert, in den Krieg oder schlimmste Arbeitseinsätze geschickt, sie werden missbraucht, vergewaltigt oder zwangsverheiratet. UNICEF, Human Rights Watch und Amnesty International wissen Furchtbares aus Ländern wie Nigeria, Syrien, dem Iran oder Mali zu berichten. Und was in unserem Land hinter so manchen Haustüren geschieht, darüber mag man gar nicht nachdenken, obwohl man es dringend tun müsste.

Eine Maria Goretti unserer Tage könnte z. B. Malala Yousafzai sein, die pakistanische Schülerin, die Bildung für Mädchen wollte und der die Taliban 2012 in den Kopf schossen. 15 Jahre alt war sie da. Sie hat überlebt, die Welt ehrte sie mit dem Friedensnobelpreis.

Maria Goretti wird von manchen als Märtyrerin der Jungfräulichkeit verehrt. In einem Gebet zu ihr heißt es: „Um deine jungfräuliche Reinheit unbefleckt zu bewahren, hast du entschlossen dein Leben geopfert.“ Zumindest aus heutiger Sicht eine irritierende Formulierung. Kann man diese Motivation einem Kind unterstellen? Und: Wird das Opfer einer Tat durch diese „befleckt“, trifft das nicht vielmehr den Täter?

Geschichten wie die dieser beiden Mädchen zeigen: Kinder sind mutig und gefährdet, Kinder sind stark und schutzbedürftig. Auf Kinder sollte man achten. Sie sind nicht nur die Zukunft einer Gesellschaft, sie sind immer auch deren Gegenwart. „Tausende Kinder nehmen lebensgefährliche Reisen auf sich, weil sie glauben, keine andere Wahl zu haben. Das mindeste, was Nachbarstaaten und die EU sicherstellen müssen, ist, dass die Kinder nach ihrer Ankunft nicht erneut misshandelt und ihrer Rechte beraubt werden.“ So sagt es Jo Becker, Expertin für Kinderrechte bei Human Rights Watch.

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