Bei euch soll es nicht so sein!
Karriereleitern im Reich Gottes könnten überraschend kurz sein. (Foto: cydonna/photocase.de)
„Ja, wir können es!“ So antworten die beiden Zebedäussöhne Jakobus und Johannes auf die Frage Jesu: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?“ Haben da zwei den Mund zu voll genommen?
Der Kelch, der da getrunken werden soll, ist der Kelch des Leidens und die Taufe, von der da die Rede ist, ist die Bluttaufe. Beide Ausdrücke verweisen auf die Passion Jesu. So einfach ist es nämlich nicht, Jesus gerade in seinem Leiden treu zu sein. Während Johannes immerhin als der Lieblingsjünger Jesu zusammen mit Maria unter dem Kreuz Jesu steht, versagt sein Bruder Jakobus just in dem Augenblick, wo es darauf angekommen wäre: Am Kreuz verdrückt er sich feige zusammen mit den anderen Jüngern Jesu.
Später freilich trinkt er den Kelch des Leidens und wird mit der Bluttaufe getauft. Wie alle Apostel mit Ausnahme seines Bruders stirbt Jakobus als Märtyrer. Auf Befehl des Königs Herodes wird er mit dem Schwert hingerichtet. Für Johannes aber, der im hohen Alter in Ephesus gestorben sein soll, hat sich das Wort des Herrn gewiss auf andere Weise erfüllt: „Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde.“ Den Himmel allerdings haben sich beide doch nicht verdient. Denn „den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind.“
Leider verrät uns Jesus nicht, wen er damit meint. Wenn es zwei der übrigen Apostel sind, haben die jedenfalls noch einen weiten Weg der Bekehrung vor sich. Denn der Fortgang der Geschichte zeigt, dass die übrigen Apostel keineswegs besser sind als diese beiden. Sie ärgern sich über sie. Und das zeigt doch nur, dass sie im Herzen die gleichen Wünsche hegen wie sie. Karrieredenken und Heilsegoismus gibt es von Anfang der Kirchengeschichte an. Und dies verdirbt all das, was eigentlich gut ist im geistlichen Leben. Nachfolge Jesu um der Erhöhung und Steigerung der eigenen Persönlichkeit willen, das ist in sich ein Widerspruch. Jesus sieht sich deshalb veranlasst, die Jünger eines Besseren zu belehren. Er verweist auf das, was man im alltäglichen Leben immer wieder beobachten kann: Diejenigen, die Macht haben, missbrauchen sie zum eigenen Vorteil und zum Nachteil derer, die von ihnen abhängig sind.
Das lässt sich bis heute in politischen und wirtschaftlichen Bereichen und leider immer wieder auch in der Kirche beobachten. Jedenfalls ist sie nicht grundsätzlich davon befreit. Jesus erlässt deshalb eine klare Anweisung: „Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.“ Er selbst hat dies vorgelebt. Diejenigen, die zu ihm gehören, sollen es so halten wie er. Dann wird die Jüngerschar Jesu eine Alternativgesellschaft zu einer Welt, in der weithin Karrieredenken und Machtgehabe vorherrschen. Die Frage, wer zur Rechten und Linken Jesu sitzen darf, erübrigt sich damit. Jeder Platz im Reich Gottes, ob oben oder unten, ist nicht ein Ort des Herrschens, sondern des Dienens. Zugegeben, das ist auch in der Kirche nicht immer spürbar – das Beispiel Jesu und seine Worte sind gleichwohl ein stetes Korrektiv für alle, die in ihr nach oben streben oder Macht ausüben wollen. Sie sind verwiesen auf sein Beispiel des letzten Platzes. Das Reich Gottes baut sich von unten her auf.
Heinz-Josef Löckmann
Der Autor ist Pfarrer und Leiter des Pastoralverbundes Eggevorland