Blick über den Domturm hinaus
Der Domturm zu Libori: fahnengeschmückt. Und was bleibt im Alltag? Eins gewiss: Der Blick über den Turm hinaus führt zum Himmel. Foto: Wiedenhaus
Der Blick in die Weltkirche macht Mut, sich trotz vielfacher Mangelerfahrungen zu engagieren.
von Georg Austen
Wie stellen Sie sich die ideale Kirche vor? Dazu hat sicher jeder seine Vorstellungen. Ich lese aus dem Evangelium, das uns auch zum Fest unseres Bistumspatrons St. Liborius geschenkt wird, zwei Anforderungen heraus: Demut – und das Ausharren bei Jesus.
Bei Jesus, der die Verhältnisse umkehrt: Der Größte soll wie der Kleinste werden, der Chef soll bedienen. Der Verzicht darauf, Privilegien und Titel in Anspruch zu nehmen, das erfordert Demut. Genau das ist die Haltung, die Jesus von allen einfordert, die ihm nachfolgen: die Maßstäbe von Größe, Einfluss, Macht in den Hintergrund zu stellen. „Bei euch soll es nicht so sein.“ Und diese Haltung gelingt nur aus einer Position der Stärke heraus: „Demut und Zärtlichkeit sind keine Tugenden der Schwachen, sondern der Starken“, so sagt es Papst Franziskus. Habe ich Angst, dass mir ein Zacken aus der Krone bricht, wenn ich nicht den Ehrenplatz habe oder sich nicht alles um mich dreht? Wie kann ich damit souverän umgehen? Demut ist ein Zeichen der Stärke, wenn ich bei Jesus bleiben will.
„Ja, ich will bei Jesus bleiben, bei ihm ausharren.“ Das ist leicht gesagt. Das haben schon die Jünger erfahren: Petrus verspricht Jesus vor dessen Passion, notfalls mit ihm zu sterben. Und dann verleugnet er ihn dreimal. Oder am Ölberg: Petrus, Jakobus und Johannes sollen mit Jesus beten. Stattdessen schlafen sie ein.
Und ich kann das nachvollziehen: Bei jemandem bleiben, mit jemandem ausharren, das fällt leicht, wenn es gut läuft. Wenn ich mich wohlfühle. Wenn es mir etwas bringt. Aber wenn es schwierig wird, wenn Begegnungen und Gespräche mühsam werden, weil ich anschließend entmutigt oder verärgert bin – will ich dann noch bleiben?
Ich finde, diese Überlegungen passen gut zum Libori-Fest. Da ist ganz Paderborn auf den Beinen. Menschen von überall her kommen in die Stadt. Sicher, auch zu den Karussells, toller Musik, Nachtkabarett und Pottmarkt. Aber eben auch zum Gebet, zu den festlichen Messen, mit feierlichen Bläser- und Orgelklängen – nicht zu vergessen: dem Libori-Tusch. Die Prozession mit dem Libori-Schrein durch die Straßen zeigt den Menschen heute draußen vorm Kirchengebäude deutlich, was wir drinnen glauben. Darüber hinaus spüren wir in Paderborn mit den internationalen Gästen den „Hauch“ von Weltkirche. Aber wie sieht es aus, wenn wieder der „Normalzustand“ einkehrt – auch im Paderborner Dom?
Jesus mutet uns das zu: Er spricht vom Ausharren „in allen Prüfungen“. Also gerade dann, wenn es mühsam wird, wenn es mir scheinbar nichts gibt. Und wenn es gefährlich wird. Das erfahren verfolgte Christen weltweit am eigenen Leib: in Nigeria, Ägypten, Syrien, Irak, Nordkorea, China … Die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Und bei uns? Ich glaube, die Herausforderung für uns als Christen in Mitteleuropa ist eine andere: Angesichts zurückgehender Zahlen von Gläubigen, Gottesdienstbesuchern und einer Zunahme der „Gottvergessenheit“ könnten wir auf den Gedanken kommen, alles Engagement in der und für die Kirche als sinnlos und vergeblich zu betrachten. Und wie sieht es eigentlich in unserem Alltag aus: Wo bringen wir da Gott ins Spiel?
Mut macht uns im Bonifatiuswerk, dass es zahlenmäßig wachsende Kirchengemeinden auch direkt vor unserer Haustür gibt: In Nordeuropa ist die katholische Kirche zahlenmäßig klein und finanziell arm. Doch zugleich ist sie – mit allen Problemen – jung und international. Sie wächst, teilweise mit zweistelligen Prozentzahlen im Jahr. Die Anzahl der Taufen übersteigt die der Beerdigungen nicht selten um ein Vielfaches. In Trondheim, am Grab des norwegischen Nationalheiligen Olav, ist im vergangenen November der neue Dom eingeweiht worden – ein Hoffnungszeichen am wichtigen Pilgerziel von Christen in ökumenischer Verbundenheit.
Diese Beobachtungen und Ereignisse machen Hoffnung. Sie können uns ermutigen, mit all den Fragen und Unsicherheiten, die sich uns angesichts der Ab- und Umbrüche, Ungleichzeitigkeiten und Spannungen in der kirchlichen Landschaft stellen, auszuharren, auch über das Libori-Fest hinaus. Denn es tut gut, über den Tellerrand des Alltags und des eigenen Kirchturmes zu blicken – als Weltkirche.
Zum Autor:
Monsignore Georg Austen ist Generalsekretär des Bonifatiuswerkes der deutschen Katholiken mit Sitz in Paderborn.