Brückenbauer zwischen den Welten
Gesichter einer Flucht präsentiert eine Ausstellung in der JVA Herford – einer Flucht nicht aus dem Gefängnis, sondern im Schlauchboot über das Meer. Foto: Mitze-Photography
Herford. In der Justizvollzuganstalt (JVA) Herford wird in der Anstaltskirche eine Ausstellung mit dem Titel „Gesichter einer Flucht“ präsentiert. Sie richtet sich an die jungen Gefangenen sowie an die Bediensteten. „Flucht“ bedeute dabei nicht das Entweichen aus dem Gefängnis, erklärt der katholische Gefängnisseelsorger Michael King, der die Initiative für das Projekt ergriff. Vielmehr werden Gesichter und Geschichten von Menschen dargestellt, die aus anderen Kulturen und Ländern nach Deutschland geflüchtet sind.
Brückenbauer zwischen den verschiedenen Welten zu sein – das versucht Michael King zusammen mit dem Integrationsdienst, dem pädagogischen sowie dem erziehungswissenschaftlichen Dienst. „In der Spannung des Systems Gefängnis hat dies eine besondere Brisanz“, sagt er.
Die ursprüngliche Idee und die erste Umsetzung der Ausstellung von Menschen mit ihren Fluchtgeschichten stammen vom Asylkreis in Haltern am See. Die JVA Herford hat die Idee aufgegriffen und erweitert. Vier inhaftierte junge Erwachsene erzählten über Wochen in Gesprächen mit Ansprechpartnern der Fachdienste sowie Ehrenamtlichen von sich und ihrer zum Teil dramatischen Flucht. Den vorhandenen Titel der Ausstellung kehrten die Gefangenen um in „Sieh nicht weg!“ anstelle von „Schau mich an“. Dabei geht es den Gefangenen darum, nicht wegzuschauen und nicht im Plural von Inhaftierten, Nationalitäten oder Religionszugehörigkeiten zu sprechen. „Jede Person hat eine Geschichte“, sagt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin, die regelmäßig im „Knast“ Jugendliche besucht, die keinen Besuch bekommen.
Das Gefängnis sei ein Spiegelbild der Gesellschaft, sagt Michael King. Dort lebten Jugendliche und junge Erwachsene aus verschiedenen Nationen, Kulturen und Migrationshintergründen nahe zusammen. „Geflüchtet und straffällig werden oft in einem Atemzug genannt“, erklärt er. „Jedoch sind es Menschen mit jeweils verschiedenen Schicksalen, die ganz individuell von ihren guten und schlechten Erfahrungen und ihren Traumata berichten.“ Manche der Teilnehmer aus Marokko, Eritrea, Afghanistan und dem Münsterland hätten sich überrascht gezeigt angesichts des ehrlich gemeinten Interesses an ihren Erzählungen.
Der 20-jährige Hakim (Name geändert) aus Afghanistan schöpft Vertrauen und erzählt: „Als ich 16 Jahre alt war, kamen Leute von der Armee in die Schule. Sie boten mir eine Stelle als Berufssoldat in der Afghanistan-Partner-Unit, einem Zusammenschluss von NATO sowie afghanischen und schwedischen Truppen. Ich ging mit ihnen in den Kampf gegen die Taliban. Nach einer Verletzung erkannte mich eine Krankenschwester, die mit den Taliban sympathisierte. Zusammen mit meiner Oma und meinen Geschwistern floh ich zunächst in den Iran, teils zu Fuß, teils mit dem Bus und Auto. Meine Oma und meine Geschwister blieben dort zurück, während ich mich auf den Weg nach Deutschland machte.“
Die Kriminalstatistik verweist darauf, dass es sich bei den Zuwanderern primär um junge Männer handelt. Bei den in Deutschland geborenen und lebenden Menschen ist diese Altersgruppe der jungen Männer ebenso am höchsten belastet. Die Sozialarbeiterin Bahar Kurban, die im Bereich des Integrationsdienstes arbeitet, sagt: „Kriminalität hängt nicht mit einer Staatsangehörigkeit zusammen, sondern in der Regel mit konkreten Lebenslagen. Letztlich sind sogenannte Ausländer oder Geflüchtete so unterschiedlich wie andere Menschen auch – weder sind alle nett und harmlos, noch sind alle gemein und gefährlich.“
Dass es kritische Töne und Vorurteile seitens der Gefangenen wie auch von Bediensteten gibt, zeigen die kontroversen Auseinandersetzungen im Rahmen dieser Ausstellung. Die Ausstellung wolle genau dies bewirken und für die „Zwischentöne“ sensibilisieren, sagt der Gefängnisseelsorger.
Dass „Flucht“ kein neues Phänomen ist, zeigt ein berührender Kurzfilm, der einen syrischen Jungen und einen alten Mann zeigt, die fast dieselben Worte für ihre Erinnerungen aktuell und nach dem Zweiten Weltkrieg verwenden.