Damit das Amt kein leeres Etwas ist – Heinz Josef Algermissen und ein unerwartetes Telefonat

Bischof em. Algermissen an seinem 80. Geburtstag, den er im ­Februar feierte. (Foto: Hans-Joachim Stoehr)

Pfingstsonntag 2001, gegen 9 Uhr. In ihrer Wohnung nahe dem Paderborner Dom sitzen ­Weihbischof Heinz Josef Algermissen und seine Mutter beim Frühstück. Gleich um 10 Uhr wird er in Vertretung des Erzbischofs im Dom das Pontifikalamt feiern. Dann klingelt das Telefon.

Paderborn (-berg). 22 Jahre ist das nun her, aber Algermissen erinnert sich noch genau an diesen Moment, der sein Leben veränderte. Am Apparat war der Domdechant aus dem Bistum Fulda, der sehr dringend darum bat, Algermissen möge an jenem Tag eine Stunde Zeit für ihn haben. Die hatte Algermissen eigentlich nicht, denn er saß auf gepackten Koffern, um am Abend mit einer großen Pilgergruppe nach Lourdes zu fahren. Was denn los sei, fragte er. Der Domdechant berichtete, am gestrigen Samstag habe das Domkapitel den Nachfolger von Johannes Dyba gewählt. „Und was hat das mit mir zu tun?“, fragte Algermissen zurück. „Du bist der Gewählte!“ Das habe ihn umgehauen, sagt er heute noch. Damit hat er erlebt, was demnächst mutmaßlich ein Priester in Deutschland erleben wird: die Wahl zum Bischof eines anderen Bistums.

Ein Jahr ist das Erzbistum ­Paderborn sedisvakant, das heißt ohne Erzbischof und derzeit mehren sich die ­Spekulationen, wer es werden könnte. In der Lokalpresse und rund um den Domplatz werden Namen ge­raunt und irgendwie gehen ­viele davon aus, dass dieses Mal kein Paderborner Eigengewächs kommt. Aber tatsächlich weiß es niemand. Es könnte sein, es könnte aber auch nicht sein.

Heinz Josef Algermissen – „Ich war ein totaler Fremdling“

Heinz Josef Algermissen lebt heute als Emeritus in Fulda. Nach einer langen Amtszeit ist er dort inzwischen zu Hause, wenngleich Paderborn, nicht nur das Erzbistum, auch die Stadt, seine Heimat bleibt. Damals, 2001, kannte er Fulda von einigen Vollversammlungen der Bischofskonferenz, die im Herbst traditionell dort stattfinden, aber die Menschen, die Priester kannte er nicht. „Ich war ein totaler Fremdling“, sagt er und erzählt von einer Erfahrung, die er auch dort gemacht hat: „Diejenigen, die sich als erstes sehr breitbeinig vor Ihnen aufbauen, sind am Ende mit Vorsicht zu genießen.“ In Konflikten jedenfalls sei man doch sehr allein.

Und, das muss man sagen, Algermissen kam nicht gerade in ein befriedetes Bistum. Sein Vorgänger sei ja nun mal ein „­Homo ­sui ­generis“ gewesen. Johannes Dyba war wohl einer der profiliertesten, man könnte auch sagen, umstrittensten Bischöfe der Nachkriegszeit. Im Bistum jedenfalls prallten glühende Dyba-­Fans auf ebenso glühende Dyba-­Hasser. Beide Seiten versuchten, ihn, Algermissen, auf ihre Seite zu ziehen.

Ein guter Einstieg ins Bistum bot sich ein Jahr nach seinem Amtsantritt. Das Bistum Fulda feierte seinen 250. Geburtstag, ein großes Fest mit rund 20 000 Menschen. Zwei Jahre später wurde es noch mal eine Nummer größer: 1 250. Todestag des heiligen Bonifatius, fast 30 000 Menschen. Ein großes Fest mit den Gläubigen, das hat Paderborn natürlich jedes Jahr zu bieten: Die Libori-­Woche, sagt Algermissen, sei eine ganz große Chance für den neuen Bischof.

Bewundernswerte Seelsorgerinnen und Seelsorger

Beim tieferen Kennenlernen seines neuen Bistums hat Algermissen auch eine Paderborner Eigenart geholfen, die er nach Fulda mitgenommen hat: die regelmäßigen Visitationen, die in anderen Bistümern offenbar nicht so eine große Rolle spielen. „Liebes Erzbistum Paderborn, mach das bitte, bitte weiter“, sagt er. Wenn der neue Bischof aus Paderborn kommt, kenne er das, wenn nicht, müsse man ihm das von vorneherein sagen: Wir machen das hier so! Bei solchen Visitationen geht es zwar auch darum, in die Bücher zu schauen, aber wichtiger seien ihm die Vier-Augen-­Gespräche mit den Priestern und Gemeindereferentinnen gewesen, für die er sich viel Zeit genommen habe. „Es gibt wirklich bewundernswerte Seelsorgerinnen und Seelsorger“, sagt er, aber – klar – auch das Gegenteil. „Und seit 2010 wissen wir, dass man selbst in solchen Gesprächen belogen wird.“ Seit 2010 beherrscht das Thema sexueller Missbrauch das Leben der Kirche in Deutschland und hat auch die Sicht auf die Bischöfe dramatisch verändert.

Reden wir also über das Bischofs­amt. Dies hat Algermissen vor einiger Zeit in Paderborn getan, als das Domkapitel zusammen mit einer Gruppe ausgeloster Gläubiger die Beratungen zur Bischofsbestellung begonnen hat. Der Bischof repräsentiere auf besondere Weise die Kirche, sagt er und zitiert Igna­tius von Antiochien, der schon im 2. Jahrhundert formuliert hat: „­Ubi ­episcopus – ­ibi ­ecclesia“. Wo der Bischof ist, da ist die Kirche. Dennoch könne das Amt an sich ein „leeres Etwas“ sein, wenn es nicht von einem Menschen ausgefüllt wird, der sich ganz als Zeuge der ­Auferstehung versteht, „ein Mensch mit Ruhe und Bescheidenheit, der uns zeigt, dass er ohne den Geist Gottes und ohne Jesus Christus nichts ist“.

Wichtig ist die Nähe zu den Menschen

Und er dürfe kein Manager sein, sagt Algermissen noch. Wie wichtig die Nähe zu den Menschen ist, spürt er jetzt im Ruhestand. Denn manchmal hilft er in den Gemeinden rund um Fulda aus. Er erlebt mehr oder weniger leere Kirchen, aber auch, dass Menschen sich freuen, ihn zu sehen, dass sie nach der Messe auf ihn warten, ihm etwas Gutes zur Predigt sagen oder ihn auch um ein Gebet für eine bestimmte Situation bitten. Das hat er als ­Bischof so nicht erlebt, da feierte er zumeist ­Pontifikalämter in übervollen Kirchen. Aber: Die ­Ruhestandserfahrung sei ­beglückend, sagt er.

Zurück zu Pfingsten 2001: Das Hochamt im Paderborner Dom feierte er damals mehr oder weniger in Trance, reden konnte er mit niemandem – außer mit seiner Mutter, die das Telefonat miterlebt hatte. Nachmittags kam die Fuldaer Delegation zu einem ersten Gespräch, dann ging es nach ­Lourdes. Im Gepäck hatte Algermissen nun noch die Frage, ob er annimmt oder ablehnt. In seiner ersten Messe dort mit den Pilgern hielt er eine schon länger vorbereitete Predigt. Es ging um das „Fiat Marias“, also ihr „Mir geschehe nach deinem Wort“. Und da sei ihm klar geworden, er könne nicht darüber predigen und dann selbst kneifen. „Na ja, und da war es im Grunde entschieden.“

Schauen Sie doch mal in die aktuelle DOM-Ausgabe rein. Dort finden Sie eine Vielzahl an Berichten zur katholischen Kirche im Erzbistum Paderborn, deutschlandweit und auch weltweit. Es lohnt sich bestimmt.

https://www.derdom.de/2023/09/28/ich-schlafe-noch-sehr-gut-interview-mit-dompropst-joachim-goebel/
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen