Das Geheimnis des Zuhörens
Wie im Leben enden manche Wege im Wald abrupt. Dann muss man ein Stück rückwärts gehen, um weiter vorwärts zu kommen.
Marsberg (-wedel). Niemand mag Besserwisser, auch oder gerade nicht am Krankenbett. Zuhören ist oberstes Gebot. „Wir wissen nie, was uns hinter der Tür erwartet“, sagt Gaby Kniesburges, Leiterin des Projekts Klinikseelsorge im Erzbistum Paderborn. Mit dem Dom hat sie sich auf einen Waldspaziergang getroffen, um über Klinikseelsorge zu sprechen.
Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Formate. In Zeiten von Corona finden Treffen draußen mit einem Mindestabstand von zwei Metern statt. Vom für Besucher gesperrten Sankt-Marien-Hospital in Marsberg geht es los in den Wald. Knallrote Jacke, robuste Schuhe und gute Laune. Gaby Kniesburges ist bestens gerüstet für den Waldweg, der gleichzeitig ein gutes Symbol für die Krankenhausseelsorge ist. Kein Baum gleicht dem anderen, so wie jeder Mensch einzigartig ist. „Es geht immer um den anderen und seine absolute Individualität“, betont Kniesburges. Mit Einfühlungsvermögen solle man sich in die Lage von Patienten setzen, die sich in einer Ausnahmesituation jenseits ihrer persönlichen Tagesstruktur und ihrer gewohnten Umgebung befänden. Passend dazu führt der Weg bergauf. Begleitendes Vogelgezwitscher ist zu hören.
Situationen gemeinsam aushalten
Ein Waldarbeiter packt mit der eisernen Klaue einer großen Forstmaschine geschlagenes Fichtenholz zu ordentlichen Stapeln zusammen. „So sortieren wir auch am liebsten unsere Gedanken“, sagt Kniesburges. „Aber es geht eben nicht darum eine Lösung zu finden, sondern darum zuzuhören.“ Ihren Worten nach ist aktives Zuhören ohne sich einzumischen und zu bewerten besonders wichtig. Das sei wie im Kinderbuchklassiker „Momo“ von Michael Ende, in der das Mädchen Momo Menschen allein durch Zuhören auf neue Gedanken bringe. Beim lauten Erzählen suchen sich die Gedanken wie das fröhlich sprudelnde Regenwasser einen Weg am mittlerweile abschüssigen Verlauf des Weges. „Es einfach wichtig, gemeinsam mit dem Patienten die Situation auszuhalten. Dabei hat sie oft die Erfahrung gemacht, dass es den Menschen hilft, mit jemandem außerhalb von Freunden, Bekannten oder Familie zu reden. Die Ehrenamtlichen in der Klinikseelsorge schenken Zeit und Vertrauen. „Als Fremde haben wir eine ganz andere Ebene, wir sind dann auch wieder weg und nehmen einen Teil der Last wie Wanderer im Rucksack mit. Das hat für viele etwas Befreiendes“, berichtet sie von ihren Erlebnissen.
Zuhören
Zuhören und gezieltes Nachfragen ergäben oft ein ganz neues Bild. Dazu fällt Gaby Kniesburges ein Ehepaar ein. Die Frau beschwerte sich bei ihrem Mann, dass er ihr das falsche Nachthemd mit dem Blumenmuster mitgebracht habe. „Ich habe das mitbekommen und den Mann später auf dem Krankenhausflur getroffen. Ihm waren die Blümchen ganz egal, er machte sich unheimlich große Sorgen um seine Frau und war froh, hin- und herzufahren, um überhaupt etwas für sie tun zu können.“ Oder die Geschichte mit der Frau und den Keksen. „Eine Patientin beschwerte sich über die Kekse. Als ich nachfragte, kam dann heraus, wie sehr sie Kuchen essen und Kaffeetrinken mit der Familie vermisste“, erzählt Kniesburges. Oft stecke hinter Klagen eben etwas ganz anderes. Oft spiele auch Angst und Unsicherheit eine große Rolle, die sich auch oft hinter Aggression verberge.
Neues versuchen
Beim ganzen Erzählen endet der Weg vor einer Schranke. Wie im wirklichen Leben: einmal anders abgebogen und jetzt geht es ein Stück zurück. Auch bezeichnend für das Projekt Klinikseelsorge. „Wir sind ein Projekt, das 2018 gestartet ist. Uns geht es um das Ausprobieren, neue Wege gehen und Neues zu versuchen“, betont sie. „Dabei wollen wir das Angebot erweitern und nicht die Hauptamtlichen ersetzen.“ Ehrenamtliche hätten auch oft nochmal einen ganz anderen Zugang zu den Patienten. Es gehe um das Zumuten und Zutrauen, ohne über eigene Grenzen zu gehen. „Empathie ist schließlich kein Privileg, das man studiert hat.“ Zurück im Wald sind die Vögel nicht mehr zu hören und es herrscht Stille. Der Weg führt wieder etwas bergab. Das Krankenhaus kommt in Sichtweite und das Vogelgezwitscher kehrt zurück. „Bei jeder Begegnung sehen wir immer nur ein Stückchen des Lebenswegs“, sagt sie. „In jedem von uns steckt aber viel mehr: alles, was wir jemals gesehen, erlebt und geliebt haben.“
Info
Zentrale Aufgaben der Ehrenamtlichen in der Klinikseelsorge
- Patienten zu besuchen
- Seelsorgliche Gespräche
- anzubieten und zu führen
- Kranke, Sterbende und Angehörige zu begleiten und Rituale, Gebete, Segen
- anzubieten
- Bedarfsorientierten Kontakt zum Stationspersonal zu pflegen
Ansprechpartnerin:
Gaby Kniesburges: 02992/6052541 oder 0160/90830369
Gabriele.kniesburges@erzbistum-paderborn.de