05.05.2017

Das Leben in Fülle haben

Der Dieb kommt, um zu stehlen. Der Hirt bzw. die Hirtin aber kümmert sich liebevoll um die Tiere. Foto: dpa

In unsicheren Zeiten ist Jesus, der Gute Hirte, unser Anwalt des Lebens.

von Werner Schaube

Jesus erzählt ein Gleichnis und seine Zuhörer „verstanden nicht den Sinn dessen, was er damit sagen wollte“ (Joh 10,6). Seltsam, dient doch das Gleichnis als bildhafte Rede der Veranschaulichung eines komplizierten Sachverhaltes. Wenn wir heute diesen Abschnitt aus dem Johannesevangelium lesen, bekommen wir die Erklärung des Gleichnisses dazu: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“

Verstanden? Ja und nein! Noch einmal lesen, Satz für Satz; auch wenn wir den Text von hinten nach vorn lesen, er bleibt uns ein Rätsel. Versuchen wir einmal in nachdenklicher Haltung den vielsagenden Zeilen nachzugehen.

Diebe und Räuber, Fremde und Türhüter (Security, Wachdienste) – das bedrohliche Personal dieser Beschreibung beschäftigt die Zuhörer Jesu; das alles kennen sie aus alltäglichen Zusammenhängen ihrer Kultur und ihrer Zeit.

Die Story beschäftigt auch uns: Die Zeitungen sind voll davon, Nachrichten im Radio und entsprechende Fernsehbilder liefern die Drohkulissen frei Haus. Und wir sichern unser Eigentum, versichern den Hausrat, spielen vielleicht mit dem Gedanken, einen Tresor einzubauen. Man kann ja nie wissen!

Es geht um Sicherheit, ein hohes Gut in jedem Gemeinwesen. Der Staat garantiert Sicherheit nach innen und nach außen; das Sicherheitsbedürfnis der Bürger steht ganz oben auf der Erwartungsliste. Wer Sicherheit verspricht, erfreut sich der Wäh­lergunst.

Mit der Figur des Hirten gibt es ein wirklich zeitloses Bild, das für Schutz und Wegweisung steht. „Mein Hirt ist Gott der Herr“ betet Israel im 23. Psalm. In diesem Lied des Vertrauens kommt zum Ausdruck, worum der Mensch in seinem Innersten bangt und bittet. In eher skeptischer He­rangehensweise könnte man denken: Wenn Gott dieser fürsorgende Hirte wäre, dann würde mir nichts fehlen. Jedoch die persönliche Glaubenserfahrungen mit diesem Gott, dessen Name meint: „Ich bin da für dich“, sind Grund genug für die zuversichtliche Annahme: Nichts wird mir fehlen!

Die Geschichte Israels, des auserwählten Volkes, ist ein Bilderbogen, der uns vor Augen führt, was Jesus mit diesem Gleichnis in Erinnerung rufen will. In Kenntnis der Heilsgeschichte werden sich die Menschen zur Zeit Jesu ebenso wie wir gefragt haben, was die ausdrückliche Feststellung bedeutet: „Ich bin die Tür (zu den Schafen).“ Kündet sich da eine „Fortsetzungsgeschichte“, eine neue Geschichte Gottes mit den Menschen an?

Ich stehe für all das ein, was Gott für euch sein will – das ist die Botschaft Jesu, die er mit dem Einsatz seines Lebens verkündete.

Christliche Gemeinden leben mit und aus dem Versprechen des Auferstandenen: Jesus Christus ist der Herr, er ist der gute Hirte. Mehr noch, er ist der „große Menschenhirt, der alles sammelt, was sich hat verirrt“ wie es im Lied „Sonne der Gerechtigkeit!“ (GL 481) heißt.

In den Katakomben Roms finden wir in den frühchristlichen Malereien immer wieder dieses beeindruckende Hirten-­Motiv. Dort, wo die Verstorbenen ihre Ruhe fanden und die Lebenden Eucharistie feierten, erinnerten diese Bilder an den Grund österlicher Freude: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“

Die Teilhabe dieses Versprechens feiert die Gemeinde, wenn sie sich um den Altar versammelt, um immer wieder neu zu bekennen: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du wiederkommst in Herrlichkeit.“

Zum Autor: Werner Schaube lebt als Oberstudiendirektor i. R. in Hagen.

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