Das Rätsel des doppelten Löwen
Bei speziellen Themenführungen aus Anlass des 850. Jahrestages der Fürstenhochzeit von Heinrich dem Löwen mit Mathilde von England wird im Domschatz Minden die geheimnisvolle Geschichte des zweiten Gießlöwen erzählt. Foto: Alex Lehn
Minden (DVM). Ein rund 850 Jahre alter Löwe gehört zu den Prunkstücken des Domschatzes Minden. Kürzlich tauchte überraschend ein Duplikat davon auf und ist noch bis Ende Juli in einer Ausstellung zu sehen. „Das ist schon eine kleine Sensation“, sagt Hans-Jürgen Amtage, Vorsitzender des Dombau-Vereines Minden (DVM). Er ist immer noch überrascht, wie dieser besondere Löwe plötzlich nach Minden kam.
Im Domschatz Minden ist seit dem Mittelalter das Original des Löwen-Aquamanile dokumentiert, ein Gießgefäß, das sehr wahrscheinlich vor 850 Jahren als Geschenk Heinrichs des Löwen an Bischof Werner von Minden in die Bischofsstadt kam. Der traute am 1. Februar 1168 den Welfen mit der englischen Königstochter Mathilde im Mindener Dom. Schon bei seiner Wahl war Bischof Werner möglicherweise von Heinrich dem Löwen unterstützt worden, der über eine Anhäufung welfischen Besitzes und von Besitzrechten im Gebiet des damaligen Bistums Minden verfügte.
Geradezu geheimnisvoll dagegen ist die Entstehungsgeschichte einer nahezu völlig identischen Kopie des Mindener Gießgefäßes, das im Mittelalter bei der liturgischen Händewaschung verwandt wurde. Seit Jahrzehnten vermuteten Kunsthistoriker, dass eine solche Kopie irgendwo in Deutschland in Privatbesitz sei. Zuletzt war dieses in einer Beschreibung des Mindener Löwen-Aquamanile in den stadtgeschichtlichen Bänden „Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen“ niedergeschrieben worden. „Doch wo sich diese Preziose befand, das war völlig offen. Bis Anfang dieses Jahres“, berichtet Hans-Jürgen Amtage.
„Im Januar meldete sich die Familie Dr. Frauke und Dr. Ingo von Lücken aus dem benachbarten Niedersachsen bei uns im Domschatz und fragte an, ob sie ihr Aquamanile einmal mit unserem vergleichen dürfe“, so der Vorsitzende des Dombau-Vereines, der seit der Wiedereröffnung vor gut einem Jahr auch Betreiberverein der neu gestalteten Domschatzkammer am Kleinen Domhof in Minden ist. „Bereits eine Woche später begegneten sich die beiden Löwen bei uns in der Ausstellung.“
Das Erstaunen aufseiten der Familie von Lücken und des DVM-Vorstandes sowie des ehrenamtlichen Domschatzwächters Andreas Kresse und des Mitgliedes des Kirchenvorstandes der Domgemeinde, Rudolf Bilstein, der sich seit Jahren besonders um das Thema Restaurierungen kümmert, sei groß gewesen.
Die beiden Löwen-Aquamanilen würden sich mehr als 90 Prozent ähneln, obwohl das Original aus der Domschatzkammer in den vergangenen zwei Jahrhunderten so weit bekannt nie die Schatzkammer zur Herstellung einer Kopie verlassen habe, schildert Amtage. In die Familie von Lücken gelangte der „zweite Löwe“ im Jahr 1950 aus dem Nachlass eines Hildesheimer Dompfarrers, der testamentarisch verfügt hatte, dass der Vater des heutigen Besitzers das Löwen-Aquamanile bekommen sollte. Der Priester hatte als junger Kaplan den Löwen von einem Braunschweiger Kneipenwirt erworben, in dessen Gaststätte das Gießgefäß seit Jahrzehnten auf dem Tresen stand und auch mal als Aschenbecher genutzt wurde.
Während der Wirt damals berichtete, dass der Löwe seit vielen Generationen in Familienbesitz und in diesen durch den Bildersturm in Braunschweig im Jahr 1528 gelangt sei, vermutet die Fachstelle Kunst des Erzbischöflichen Diözesanmuseums Paderborn eine spätere Herstellung. „Da das Mindener Aquamanile schon in den Jahren 1867 beziehungsweise 1879 publiziert und ausgestellt worden ist, ist es nicht verwunderlich, dass man Nachbildungen des Gerätes hergestellt hat, was im 19. Jahrhundert mit oftmals erstaunlicher Qualität geschehen ist“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Karin Wermert. Eine von Frauke von Lücken in Auftrag gegebene Materialanalyse des Löwen durch den TÜV Nord in Hannover weist auf eine mittelalterliche Legierung des Aquamanile hin. „Solche Materialmischungen wurden auch deutlich später hergestellt“, sagt die Paderborner Kunsthistorikerin.
Während diese Löwenkopie erst einmal wohl ihr Geheimnis wahren wird, haben die Eigentümer das Aquamanile für einige Wochen dem Dombau-Verein Minden als Leihgabe überlassen. So zeigt der Domschatz Minden unter dem Titel „Wir haben den Löwen“ bis Ende Juli in einer Sonderpräsentation aus Anlass des 850. Jahrestages der Fürstenhochzeit den „zweiten Löwen“.
Mit der Ausstellungsplanung begann für Domwächter Andreas Kresse ein kleines (kunst-)geschichtliches Abenteuer. Für spezielle halbstündige Führungen aus Anlass der Sonderpräsentation tauchte er tief in die Geschichte der Trauung Heinrichs des Löwen mit Mathilde von England und der beiden Gießlöwen ein. Diese Führungen werden auch auf Anfrage angeboten.
Info
Mehr Infos unter: www.domschatz-minden.de