Das umzingelte Dorf
Das Dorf Dahl scheint sich unter den Windkraftanlagen wegzuducken, vorne links die Kirche St. Margarethe. (Foto: Flüter)
Paderborn-Dahl. Der Paderborner Stadtteil Dahl galt als Vorreiter der Windkraft. Mittlerweile ist die Bevölkerung in Gegner und Befürworter der erneuerbaren Energie tief gespalten.
Johannes Glaen warnt seine Gäste, wenn sie den Blick nach ganz oben wagen. Sie könnten das Gleichgewicht verlieren: so unvermittelt, so hoch und so steil erhebt sich die Wand aus Stahl und Beton in den Himmel. 135 Meter bis zur Nabe, 186 Meter bis zur höchsten Rotorspitze. Das ist doppelt so hoch wie der Paderborner Dom, der von hier, der Paderborner Hochfläche, zu sehen ist. Und dabei ist die Windkraftanlage, die die AGM GmbH & Co KG errichtet hat, nur eine von vieren, die in diesem „Windvorranggebiet“ am Iggenhauser Weg in Dahl entstehen werden. Die Anlage, vor der Glaen steht, ist die erste, zwei andere sind im Bau. Eine von ihnen ist mit knapp 200 Metern sogar noch höher als die bereits stehende E 101 der AGM GmbH & Co KG.
Die E 101 ist nicht die modernste Entwicklung des
Windanlagenherstellers Enercon, auch nicht die größte, aber sie gehört einer neuen Generation von Anlagen an, die frühere Modelle wie Spielzeuge aussehen lassen. 70 Tonnen Stahl, 800 Kubikmeter Beton geben dem Turm Halt, sieben bis acht Millionen Kilowattstunden Strom produziert der Gigant im Jahr. „Echte deutsche Ingenieurskunst“, sagt Johannes Glaen.
Dahl ist ein „Windkraftdorf“. Es liegt auf den ersten Ausläufern des Eggegebirges, die sich unvermittelt auf über 200 Meter über dem Meeresspiegel aus der Ebene erheben. Hier weht immer Wind, und so war es kein Zufall, dass rund um Dahl und die Nachbarorte schon vor zwanzig Jahren die ersten Windparks entstanden.
Johannes Glaen war einer der Windkraftpioniere. Als 2001 seine erste Windkraftanlage in Betrieb ging – eine E 66, Gesamthöhe 133 Meter – spielte noch eine Musikkapelle, es gab Würstchen und Bier und der Pfarrer segnete das Bauwerk. Als die neue Anlage in diesem Frühjahr in Betrieb ging, haben Johannes Glaen und seine Partner Thomas Menne und Wilhelm Ahle auf eine Feier verzichtet.
Warum die Windkraftbauer die Öffentlichkeit nicht eingeladen haben, ist mittlerweile im Windkraftdorf Dahl unübersehbar. Kurz vor dem Ortseingangsschild fordert ein Transparent „Anstand erfordert Abstand“ neben der Abbildung eines Windparks.
Friedhelm Brockmeier hat das Banner in seinem Garten aufgestellt, unterstützt von anderen Mitgliedern der „Dawi“, der „Dahler Wind-Initiative“. Von seinem Haus hat Brockmeier einen nahezu ungehinderten Blick auf mehrere Windparks. Direkt gegenüber, Luftlinie exakt 1,5 Kilometer entfernt, ragt der Turm der E 101 der AGM GmbH & Co KG aus einem Acker. Daneben dreht sich ein riesiger Kran auf der Baustelle für die nächste Anlage. „Meiner Mutter wird schwindelig vor Augen, wenn sie aus dem Fenster auf die vielen drehenden Rotorblätter schaut“, sagt Brockmeier. „Niemand hat bei uns etwas gegen Windkraft, aber das überschreitet jedes Maß.“ Wenn der Wind aus süd-westlicher Richtung kommt, hört er die Geräusche der Anlagen. „Eine aus dem Borchener Windparkt war defekt, die heulte wie ein Düsenjäger.“
Die Dawi ist die wichtigste Widersacherin der Windinvestoren im Dorf. Die Initiative zählt nach eigener Auskunft 250 Mitglieder, die zu 100 Prozent aus Dahl stammen. Damit wäre fast jeder zehnte Dahler Mitglied der Dawi.
Die Initiative betreibt eine Internetseite, auf die der Konflikt um die Windkraft in Dahl ordentlich dokumentiert ist: Entwürfe von Flächennutzungsplänen, Gutachten, Presseberichte, der Schriftwechsel mit den Behörden. Der Internetseite ist anzumerken, dass viel Zeit und Arbeit für ihre Aktualisierung verwendet wird. Die Windkraftbetreiber haben dem keinen ähnlich gut gestalteten Internetauftritt entgegenzusetzen.
Einer der Verantwortlichen für die Homepage ist Dr. Jürgen Baur. Der emeritierte Professor der Soziologie ist einer der vier Sprecher der Dawi. Baur sitzt im Wintergarten seines Hauses, das er 2009 gekauft hat, und raucht einen Zigarillo. Das Grundstück liegt in der „Dahler Heide“, einer in den 1970er und 1980er Jahren entstandenen Siedlung, die oberhalb des alten Dorfes liegt und einen freien Blick nach Süden bietet – eine Aussicht, die mit Dutzenden von Windkraftanlagen zugestellt ist.
Das die Windkraft zu Dahl gehörte, sei ihm klar gewesen, als er nach Dahl zog, sagt Baur. Die Entwicklung der folgenden Jahre habe er sich jedoch damals nicht vorstellen können. Eigentlich sei er eher links, sagt Baur, aber weder auf die SPD noch die Grünen kann er bei seinem Kampf gegen die aktuellen Windkraftplanungen in Dahl bauen. „Ich fühle mich mittlerweile in dieser Frage der CDU näher“, sagt er und schiebt ein kritisches Positionspapier der CDU im Hochsauerlandkreis über den Tisch.
Bald schon wird er aus seinem Arbeitszimmer auch im Südosten auf vier weitere Windkraftanlagen blicken können. Sie entstehen an der Grenze des Paderborner Stadtteils Dahl zur Nachbarstadt Lichtenau. Die ersten beiden Türme ragen bereits wie riesige Industrieschlote hinter dem Wald empor, der bislang den Horizont begrenzte. Obwohl sie erst zu einem Bruchteil stehen, sehen sie schon jetzt wie Riesen aus, die auf das Dorf hinunterschauen. Fast wirkt es, als ducke sich das kleingewordene Dorf unter den Türmen weg.
Wie eine „Umzingelung“ Dahls kommt Baur die Windkraftbebauung vor. Wenn alle geplanten Anlagen errichtet sind, haben die Dahler nur noch zwei freie Perspektiven im Westen und Osten, die nicht von Windkraftanlagen verstellt sind. Die beiden Korridore machen weniger als die vorgeschriebenen 120 Grad freien Rundumblick aus, sagt Baur. Er ist überzeugt, dass Gesundheit und Wohlbefinden unter der „optischen Bedrängung“ leiden.
– Lesen Sie mehr im aktuellen DOM Nr. 41 –
(Karl-Martin Flüter)