Der Einfluss auf die Gesundheit

Brigitte Dzemaili, Nicole Drake-­Wieners und Simone Milz vor dem Eingang des Seniorenzentrums.

Die Krankschreibungen sind auf Rekordhoch und Deutschland bewegt sich zu wenig. Doch in welchem Zusammenhang steht die Arbeit mit der Gesundheit? Und was kann der Betrieb tun? Das betriebliche Gesundheitsmanagement scheint eine Lösung zu sein.

Borchen. Blaue Trennwände sorgen für Privatsphäre in dem belebten Foyer. Dahinter befindet sich Brigitte Dzemaili und wartet auf das, was passiert. Hüftbreit und locker soll sie sich hinstellen. Ein Mann mit Vollbart setzt ein weißes Messgerät an ihrem Nacken an und fährt damit langsam ihre Wirbelsäule hinunter. Auf einem Bildschirm wird eine S-­förmige Linie sichtbar. Insgesamt drei dieser Messungen führen sie durch. Bei der zweiten soll Dzemaili ihren Rücken beugen, vor der dritten ein Kilogramm schwere Hanteln nach vorne strecken.

Bei dem weißen Messgerät handelt es sich um die „Medimouse“, die Dzemailis Krümmung der Wirbelsäule misst. Es soll ihre Haltungs- und Bewegungskompetenz ermittelt werden. Danach wird eine Analyse durchgeführt. Hinter den blauen Trennwänden geht es nämlich um Dzemailis Gesundheit.

Gesundheitstag

Nach dem Scan zieht die 1969 geborene Frau mit dem freundlichen Gesicht wieder ihr grünes ­T-­Shirt an. „Seniorencentrum Mallinckrodthof – 15 Jahre“ steht darauf. Dzemaili ist Hauswirtschaftsleiterin in dem Seniorenzentrum in Borchen. An diesem Montag dreht sich in der Einrichtung alles um das Thema Gesundheit. Es ist die Auftaktveranstaltung für das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM), um dieses nach Corona wieder neu auszurichten. Erst soll der aktuelle Gesundheitsstand der Arbeitenden abgefragt werden, später wird dann eine Analyse durchgeführt. Dafür sind insgesamt sieben Stationen im Eingangsbereich aufgebaut.

An jeder Station stehen fachlich geschulte Trainer, die von dem externen Dienstleister „Team Gesundheit“ gestellt werden. Einer von ihnen ist Jonas Boehmfeld, der Mann mit dem Vollbart an der Station mit der „Medimouse“. Boehmfeld ist Gesundheitsberater und setzt sich im Anschluss an die Messungen mit Dzemaili an einen Tisch, um die Ergebnisse zu analysieren. Er deutet auf den Bildschirm „Hier sehen wir ein gutes Beispiel einer arbeitenden Person.“

Die Folgen der Arbeit

Wenn jemand arbeitet, sieht man das. Die beruflichen Umstände haben einen Einfluss auf die psychische und physische Gesundheit. Im Jahr 2020 gaben laut dem statistischen Bundesamt etwa ein Drittel der Erwerbstätigen an, am Arbeitsplatz durch körperliche Belastungen gefährdet zu sein. Die Gefährdung durch „ermüdende oder schmerzhafte Körperhaltungen“ habe den größten Einfluss, dicht gefolgt von dem „Hantieren mit schweren Lasten“.

Gleichzeitig nimmt die Digitalisierung in Deutschland zu, das heißt Schreibtischarbeit, die das nächste Problem mit sich bringt: Bewegungsmangel. Laut einer DKV-­Studie sitzt mit 9,2 ­Stunden jeder Deutsche werktäglich ­länger als 2021. Die Menschen in Nordrhein-­Westfalen sitzen mit fast zehn Stunden am meisten.

Mit einem gesunden Lebensstil hat dies wenig zu tun und die Arbeit trägt einen Teil der Verantwortung. Die Auswirkungen von Arbeit auf die Gesundheit bringt nicht nur Folgen für die Mitarbeiter mit sich, auch der Betrieb leidet. Fehltage, frühere Rente, Unzufriedenheit führen zu einer geringeren Leistung des Unternehmens und machen sich im Umsatz bemerkbar. Zudem führt der demografische Wandel dazu, dass Mitarbeiter länger arbeiten und Unternehmen in der Konsequenz dafür sorgen müssen, diese lange und gesund am Arbeitsplatz zu halten.

Doch während die Krankschreibungen in Deutschland auf Rekordhoch sind, verzeichnet das Seniorenzentrum Mallinckrodthof andere Werte. „Bei den Krankheitsausfällen liegen wir generell unter dem Branchendurchschnitt“, erklärt Simone Milz, BGM-­Verantwortliche in den Caritas Wohn- und Werkstätten Paderborn. Seit zehn Jahren betreut sie das BGM der 40 Einrichtungen, die zu den Caritas Wohn- und Werkstätten gehören. Der Erfolg des BGM würde jedoch nicht am Krankenstand gemessen, betont sie. „Der Anlass war, etwas für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu tun. Sie sollen gesund sein. Sie sollen sich hier wohlfühlen und gerne in unseren Einrichtungen arbeiten.“ Gerade auch mit Blick auf den Fachkräftemangel sieht sie ein gutes Arbeitsumfeld als wichtig an.

Unternehmenskultur und Gesundheit

Auf einem Tisch im Foyer ist ein Riesen-­Jenga aufgebaut. Milz und Dzemaili testen ihr Geschick. Präzise schiebt Dzemaili einen Jenga-­Stein aus der Mitte heraus. Der Turm wackelt, es wird spannend, doch er bleibt stehen. „Direktheit“, liest die Hauswirtschaftsleiterin das in das Holz eingravierte Wort auf dem herausgezogenen Stein vor. Auf anderen Steinen stehen die Worte „Souveränität“, „Zugehörigkeit“, „Ehrlichkeit“ und „Geduld“. Alles Werte, die eine Unternehmenskultur prägen.

Das Arbeitsumfeld und -klima haben einen entscheidenden Einfluss auf die Zufriedenheit der Angestellten. „Die Mitarbeiter sind länger bei uns. Sie nehmen auch weite Wegstrecken auf sich, um herzukommen“, betont die Einrichtungsleiterin Nicole Drake-­Wieners. Auch Dzemaili arbeite gern in der Einrichtung, bestätigt die Hauswirtschaftsleiterin.

Mittlerweile ist es voller im Foyer geworden. Überall wuseln Menschen in grünen ­T-­Shirts wie das, welches Dzemaili trägt, herum und testen die Stationen. Auch ein Bewohner ist neugierig und schaut sich um. „Heute geht es darum, Spaß mit Gesundheit zu verbinden“, so Drake-­Wieners. Besonders beliebt: ein Schnelligkeitsspiel mit leuchtenden Buzzern.  

Eigentlich ist es so gedacht, dass die blauen Buzzer auf dem Boden liegen, man in der Mitte steht und so schnell wie möglich auf das Licht tritt. Für Dzemaili macht die Betreuerin der Station eine Ausnahme: Sie darf die Übung mit den Händen machen. Es ist kein Jahr her, da ist Dzemaili gestürzt. Sie brauchte einige Monate, um wieder gesund zu werden. Heute ist ihr erster Tag wieder in Vollzeit, vollständig fit für jede Art der Bewegung ist sie noch nicht. Der erste Buzzer leuchtet auf und Dzemaili haut mit der Hand darauf. Schnell wandern ihre Hände über die aufleuch­tenden Buzzer. 35 schafft sie in der vorgegebenen Zeit.

Das Gelernte zu Hause anwenden

Wenn es um die Nutzung der Angebote des BGMs geht, ist Dzemaili das beste Beispiel. Regelmäßig nimmt sie die Angebote des BGM wie Radfahren, Yoga oder Walken wahr. Auch die Ernährung hat sie umgestellt. „Ich habe dadurch um die 20 Kilogramm abgenommen“, erzählt sie stolz. „Wichtig ist, dass man das Gelernte auch zu Hause anwendet.“

In den Caritas Wohn- und Werkstätten gibt es das BGM bereits seit zehn Jahren. „In der Sozialwirtschaft im Kreis Paderborn waren wir die Pioniere mit der Einführung des BGM“, berichtet Birgitt Kopera von der Stabstelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des CWW Paderborn, „andere Einrichtungen fangen erst jetzt damit an“.

Das BGM wird in allen 40 Einrichtungen und Geschäfts­bereichen des CWW Paderborn genutzt. „Von kleinen Wohngruppen über Werkstätten bis zu Kindergärten wird davon Gebrauch gemacht“, erklärt Milz. Das sei manchmal eine He­rausforderung. Auch in einem Haus seien wieder verschiedene Arbeits­bereiche und auch Schicht­betriebe.

Dadurch kommen aber auch ganz verschiedene Angebote zusammen. Aktuell findet auch ein Wettbewerb statt, bei dem ­Mitarbeiter Vorschläge einsenden können. Veröffentlicht sind die ­Ergebnisse noch nicht, doch zwei Ideen verrät Milz: ­Stadtradeln und Alpakawanderungen.

An einer der Stationen misst Dustin Karsch den Blutdruck von Brigitte Dzemaili.
An einer der Stationen misst Dustin Karsch den Blutdruck von Brigitte Dzemaili.

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Helena Mälck und Patrick Kleibold

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