Der Heilige Geist bewirkt Friede und Einheit
„Multikulti“ ist nicht das Problem, vielmehr die fehlende Verständigung. Dass es auch anders geht, zeigen diese jungen Frauen.Foto: KNA
Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes und zugleich die Geburtsstunde der Kirche. Doch der Heilige Geist ist nicht zu sehen. Manche können nicht an ihn glauben – er sei zu abstrakt, zu wenig konkret. Es ist richtig, dass der Heilige Geist nicht zu sehen ist. Dies heißt jedoch nicht, dass er nicht konkret wird. Seine Wirkungen sind überaus spürbar und sehr real. Damit ist nicht das Brausen und sind nicht die Feuerzungen gemeint, von denen die Apostelgeschichte berichtet. Das sind Bilder für sein Wirken. Die tatsächlichen Wirkungen des Heiligen Geistes sind anspruchsvoller, aber nicht weniger real. Auf einen Nenner gebracht kann man sagen: Die Wirkungen des Heiligen Geistes sind Friede und Einheit.
Über alle Sprach- und Kulturgrenzen hinweg vereinigt der Geist die Menschen. Er begründet zwar die Individualität des Einzelnen, er schenkt die unterschiedlichen Gaben und Begabungen, gleichzeitig aber fügt er die Menschen mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten zur Einheit im Bekenntnis zu Christus, dem Nazarener, zusammen. So wie ein Leib aus vielen, ganz unterschiedlichen Gliedern besteht, so bilden auch die Christinnen und Christen mit ihren unterschiedlichen Talenten den einen Leib Christi, die Kirche. Sie haben den Geist empfangen, damit sie das Werk des Auferstandenen in dieser Welt fortsetzen können. Und sein Werk ist die Versöhnung, die Verständigung unter Menschen. Also das Aufheben jener Spaltung, die Menschen von Gott und voneinander trennt. Der Heilige Geist steht für Einheit und Friede.
Solche Versöhnung und Verständigung über alle Grenzen hinweg ist heute höchst dringlich, zugleich aber auch schwierig und keineswegs selbstverständlich. Das wird immer deutlicher in einer Welt, die zwar durch moderne Kommunikationstechnik und Verkehrsmittel immer näher zusammenrückt. Zugleich wird aber auch der Unterschied zwischen den Kulturen mehr und mehr erfahrbar. Unter dem Druck der Globalisierung verbreitet sich immer mehr die Angst, das Eigene, das Spezifische, die kulturellen und die individuellen Eigenarten zu verlieren und Opfer anonymer Kräfte und Mächte zu werden. In Reaktion darauf werden an vielen Orten und in zahlreichen Regionen dieser Welt Individualität und kulturelle Eigenart verstärkt betont – leider auch immer aggressiver demonstriert und ausgelebt. Angst vor dem Anderen, Angst vor dem Fremden beherrscht mehr und mehr die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit. Die Aggressionen und Gewalttaten gegen Ausländer nehmen auch in Deutschland zu.
„,Multikulti‘ ist am Ende“, sagen die einen und jubeln zugleich darüber, dass Deutschland zum wiederholten Male „Exportweltmeister“ ist. Sie vergessen dabei, dass es hier einen Zusammenhang gibt. Als ob wirtschaftlicher Erfolg und wirtschaftliche Dominanz sich im Zuge der Globalisierung immer weiter ausdehnen und wir uns gleichzeitig gegen jeden Einfluss von außen abschotten könnten. Mit der neoliberalen Marktwirtschaft werden im höchsten Maße die Kulturen der anderen Völker überformt und überfremdet. Denn im Zuge der Globalisierung setzt sich auch der Individualismus weltweit mehr und mehr durch und mit ihm ein auf den individuellen Profit gerichteter kapitalistischer Egoismus. Wenn wir aber die anderen Kulturen überformen und überfremden, wie könnte unsere Kultur von all dem unberührt bleiben?
Die zentrale Frage heute ist: Welche Idee, welcher Geist beherrscht die Welt? Die Profitidee der Wirtschaft, die ideologische Verbohrtheit religiöser Fanatiker oder die Vorstellung von einer gerechten Welt, die sich an den individuellen Menschen im Kontext eines grundlegenden und globalen Gemeinwohldenkens orientiert?
Letzteres spiegelt die Vorstellungen und Ziele der Pfingstbotschaft wider. Die geht davon aus, dass der Geist Gottes Verständigung, Einheit und Frieden schafft – über die Grenzen hinweg, ohne die Verschiedenheiten aufzuheben: weder die kulturelle noch die individuelle, die jedem Menschen und jedem Volk einzigartig zugedacht ist. Diese Verschiedenheit muss erhalten bleiben, weil sie Reichtum bedeutet – vorausgesetzt, sie wird zum Nutzen aller eingesetzt. Und eben dies ist das entscheidende Kriterium: der Nutzen für alle! Nicht die individuelle und auch nicht die nationalstaatliche Bereicherung oder der nationalstaatliche Vorteil. „Multikulti“ ist nicht das Problem, vielmehr die fehlende Verständigung, das Nebeneinander/Gegeneinander, gepaart mit nationaler und/oder individueller Überheblichkeit und Ignoranz.
Dabei geht es auch der biblischen Botschaft nicht darum, einfach alles gleichgültig nebeneinander zu stellen. Das ist auf Dauer zum Scheitern verurteilt, ein solches (gleichgültiges) Nebeneinander ohne Verständigung geht oft nur eine sehr kurze Zeit gut. Eine belastbare Verständigung ist nötig – eine Verständigung, die nicht nur den eigenen Vorteil, sondern das größtmögliche Wohl aller sucht. Das aber bedeutet: Es braucht eine Unterscheidung der Geister! Und eben diese notwendige „Unterscheidung der Geister“ lässt die Frage entstehen: In welchem Geist geschieht das?
Das Evangelium macht immer wieder deutlich: Es kann und darf nicht einfach alles toleriert und hingenommen werden, weder im Kleinen noch im Großen. Und an dieser Stelle wird der Geist sehr konkret. Mit dem Geist unvereinbar sind beispielsweise eine egoistische Lebenshaltung oder eine wachsende Armut ganzer Völker, während reiche Wirtschaftsnationen durch ihre Marktbeherrschung immer reicher werden. Weltwirtschaftliche Dominanz und wirtschaftlicher Erfolg sind nicht neutral im Hinblick auf das Reich Gottes. Christen zeichnen sich dadurch aus, dass sie „das Brot teilen“.
Es stimmt: Der Geist Gottes ist nicht zu sehen. Aber seine Wirkungen sind sehr real und spürbar. Sich von ihm anrühren und begeistern zu lassen, ist anspruchsvoll. Gerade in unserer bisweilen so geistarmen oder geistlosen Zeit. Umso ermutigender ist es, dass es Christinnen und Christen sind, die ein ausgeprägtes Gemeinwohlbewusstsein und ein überzeugendes soziales Engagement zeigen. Und das gilt auch für Jugendliche. Es ist besonders offenbar geworden bei der Sorge um die Flüchtlinge in Deutschland.
Ja, der Geist Gottes ist nicht zu sehen, aber der Unsichtbare ist spürbar und erkennbar in der Art, wie er wirkt: nämlich da, wo Menschen sich für Einheit und Frieden einsetzen.
Weihbischof em.
Manfred Grothe