Der Papst begeistert und polarisiert
Der Papst ist Pastor geblieben. Franziskus im Gespräch mit Familien beim Besuch der Stadtgemeinde Papst San Gelasio I. in Rom. Foto: KNA
Rom. 13. März 2013: Noch bevor der neue Papst etwas schüchtern winkend auf der Loggia des Petersdomes erscheint, sandte er eine klare Botschaft: Er wolle sich Franziskus nennen. Ein Name mit Programm.
von Roland Juchem
Als Papst den Namen eines der populärsten Heiligen der Christenheit anzunehmen, zeugt von Selbstbewusstsein. Der rebellische Kaufmannsspross Franz von Assisi (1181/82–1226) brach mit der Tradition und mischte sich unter Außenseiter.
Er möge die Armen nicht vergessen, hatte ihn der brasilianische Kardinal Claudio Hummes gebeten, als im Konklave das Pendel in Richtung des Kardinals von Buenos Aires, Jorge Mario Bergoglio, schwang. Und der nahm den Impuls auf und nannte sich: Franziskus. Berühmt ist sein Bild von der Kirche als „Feldlazarett“, das sich um die Verletzten der globalisierten Welt kümmert.
Franziskus habe „in seiner Sprache, seinen Gesten und seinem Amts- und Lebensstil etwas Prophetisches“, sagt der deutsche Kardinal Walter Kasper. Friseursalons und Duschgelegenheiten für Obdachlose unter den Fenstern des apostolischen Palastes, die Fußwaschung am Gründonnerstag im Gefängnis statt in seiner Bischofskirche, auch bei Frauen und Muslimen statt bei Geistlichen – der Papst aus Südamerika mutet manchen einiges zu.
Der erste Papst, der nicht aus dem Bereich des alten Imperium Romanum kommt und dem die Gemengelage von Staat und Kirche ziemlich fremd ist. Franziskus „hebt den Unterschied zwischen Zentrum und Peripherie auf“, sagt Elisabetta Bonelli, Staatssekretärin im italienischen Außenministerium. Jeder Ort der Welt habe seine eigene Autorität, eigene Erfahrungen von Leid und Erfolg, Geschichte und Tradition. Das gilt für Bangui wie Washington, für Elite-Unis wie das traditionelle Wissen indigener Völker.
Franziskus’ Reiseziele sind Bangladesch, Albanien, Zentralafrika. Oder Lampedusa und Lesbos, von wo aus er die Welt auf das Leid der Flüchtlinge und Migranten hinweist. So sei er zur „weltweiten Führungsfigur mit der höchsten Glaubwürdigkeit und moralischen Integrität“ geworden, sagt Bonelli. Ohne Risiko sind Diplomatie und politischer Einsatz von Franziskus nicht. Der derzeitige Drahtseilakt für ein Abkommen mit Peking etwa stößt nicht nur bei Katholiken in Hongkong auf Skepsis. Legitime Bischöfe zum Rücktritt drängen und bislang exkommunizierte, weil von Peking ernannte Bischöfe, anerkennen? Das geht manchem deutlich zu weit.
Seine Gäste bedenkt Franziskus mit einer Friedenstaube oder einem Olivenzweig sowie seinen Schreiben. Deren Hauptanliegen: die Zusammenhänge von Ökologie und Gerechtigkeit in Gottes Schöpfung sowie eine überzeugende, situationsgerechte Seelsorge für die Menschen des 21. Jahrhunderts.
Franziskus will Gräben überbrücken, auch ökumenisch. Seine Amtsführung habe etwas von einem „ökumenischen Primat“, schwärmte Roms lutherischer Pfarrer Jens-Martin Kruse. Manche Katholiken hingegen hat er gegen sich aufgebracht.
Allein drei bekanntere Aktionen gegen „Amoris laetitia“, sein Lehrschreiben zu Ehe und Familie, hat es bislang gegeben: den Brief vierer Kardinäle, die theologische „Zweifel“ anmelden; eine als „kindliche Korrektur“ titulierte Internetkampagne, die dem Papst gar „Häresie“ vorwarf; und das Schreiben dreier kasachischer Bischöfe zur Unauflöslichkeit der Ehe, dem sich mittlerweile sechs weitere Oberhirten angeschlossen haben. Mit seiner Kritik an „einer Wirtschaft, die tötet“, in der Umweltenzyklika „Laudato si“ trat Franziskus vielen auf die Füße.
Mancher spricht vom Papst, der nicht das letzte Wort haben will, sondern lieber mehrere vorletzte. Seine Mahnung zur alten Jesuiten-Tugend der steten „Unterscheidung“ ist vielen zu unklar. Sie öffne Ritzen, durch die „das Böse“, „die Unwahrheit“, Einzug halten. Keine Frage: Franziskus versteht Dialog und Wertschätzung anderer Meinungen als einen Weg, um gemeinsam zu einer konkreten Wahrheit für die betroffenen Menschen zu gelangen. Für seine Kritiker riecht das nach jenem Relativismus, vor dem Benedikt XVI. so oft warnte.
Von seinen Vorgängern erbte Franziskus zwei begonnene Aufgaben, die seine eigene Amtszeit belasten: den Umgang mit sexuellem Missbrauch und die Kurienreform. Bei beiden gibt es Erfolge und Rückschläge. In Chile, erschüttert von einem Missbrauchsfall, muss sich derzeit ein Sondergesandter mit den Folgen einer womöglich falschen Bischofsernennung und der unsensiblen Antwort des Papstes auf eine Reporterfrage dazu auseinandersetzen. Andererseits gehört die katholische Kirche inzwischen zu den Vorbildern für die Auseinandersetzung mit dem Thema.
Gelingt Franziskus die von ihm geforderte Kurienreform? Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin versichert, das Projekt gehe voran – wenn auch Schritt für Schritt. Im Finanz- und Wirtschaftsbereich hakt es noch. Mitarbeitermotivation freilich scheint für Franziskus mitunter ein Fremdwort zu sein. Dass er, der oft von Milde und Barmherzigkeit spricht, in seinen Weihnachtsansprachen führende Mitarbeiter vor laufenden Kameras in den Senkel stellt, löste nicht nur bei den Angesprochenen Kopfschütteln aus.
Sein Image in der Öffentlichkeit wird auch durch Graffiti geprägt, die Franziskus als „Super Pope“ im Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit zeigen; oder seine mitunter launigen, aber auch energischen Ausführungen bei den wöchentlichen Generalaudienzen, spontane Telefonanrufe und Besuche. Was Mitarbeiter des „Pfarrer Papst“ zur Verzweiflung treibt, erfreut Menschen und Medien.
Am Abend seiner Wahl, bevor Franziskus die Menschen auf dem Platz segnete, verneigte er sich und bat sie um ihr Gebet. Eine damals neue Geste, aus der inzwischen jener Satz geworden ist, mit dem Franziskus fast jede seiner Ansprachen beendet: „Bitte vergesst nicht, für mich zu beten.“