Dialog zwischen Gott und Mensch
Gott ist anwesend im Alltag der Menschen. Foto: KNA
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen. (Joh 1)
Das Wort, das Gott zum Menschen spricht, steht am Anfang des Johannesevangeliums. Bereits die ersten Verse der Frohen Botschaft stellen uns dieses göttliche Wort vor und wollen uns mit ihm vertraut machen. Es ist ein Wort, das Gott zu jedem Einzelnen spricht, ein Wort, das Gott hineinsagt in die Lebensgeschichte eines jeden Menschen. Gott spricht dieses Wort mal flüsternd, mal unüberhörbar, mal diskret, mal fordernd. Er spricht das Wort aber immer gegenwärtig, ob einer darum weiß oder nicht. Dieses göttliche Wort gibt für jeden einzelnen Menschen den Grundton der je eigenen Lebensmelodie an. Dieses von Gott gesprochene Wort will zuallererst gehört werden von den einzelnen Menschen. Und das Wort will erschlossen werden, es will lebendig werden und fruchtbar sein.
Im Anfang steht das Wort, das Gott zum Menschen spricht. Und wo immer ein Mensch innerlich wach und bereit ist, dieses Wort wahr- und aufzunehmen, da entwickelt sich dieses Wort zu einem Dialog zwischen Gott und Mensch: Das Wort Gottes spricht an und ruft, fordert zur Antwort heraus. Das göttliche Wort lädt ein zu einem Dialog der Liebe, der ein ganzes Leben hindurch in immer neuen und überraschenden Wendungen zur Vollendung drängt. Dieser Dialog zwischen Gott und Mensch ist ein Dialog, der nicht abschließt, vielmehr öffnet, der nicht einengt, vielmehr einbezieht, ein Dialog, der zur Freiheit führt.
Und doch sagen Menschen, der Mensch stehe am Anfang der Geschichte, alles beginne mit ihm und gehe von ihm aus. Der aktive Mensch habe die Welt gebaut, ihr ein Gesicht gegeben, der schöpferische Mensch habe die Welt nach seiner Vorstellung gestaltet. Aus diesem Grund sei der Mensch auch der „Herr der Welt“ und die Welt mit allen Errungenschaften sei sein Eigentum.
An Weihnachten erfahren wir aber etwas ganz anderes. Die biblische Weihnachtsbotschaft erinnert uns daran, dass am Anfang der Geschichte nicht der Mensch steht, vielmehr Gott. Gott ist als „Lebenswort“ zuerst bei den Menschen angekommen. Bevor Menschen damit angefangen haben, aufzubrechen und Leben zu gestalten, ist Gott als Lebenswort zu den Menschen gekommen und hat sich ausgesprochen. Ja, es gäbe heute keine Welt und keine Menschen, wenn Gott sie nicht in seiner Liebe geschaffen, gestaltet und sich in der Welt offenbart hätte. Darum ist die Welt weder Eigentum einzelner Menschen, noch eines Volkes. Die Welt ist Eigentum Gottes. Und das ist das Überraschende: Mein Alltag ist Ort der Gegenwart Gottes.
Was der Anfang des Johannesevangeliums mit dem göttlichen Lebenswort zum Ausdruck bringt, findet sich bereits am Beginn der Heiligen Schrift: Dort ruft das Schöpferwort Gottes alles ins Sein. Im ersten Buch der Bibel wird deutlich, dass alles Seiende durch Gott geschaffen wurde, sich alles Gott verdankt. Und es wird in der ersten Schöpfungserzählung deutlich benannt: „Gott sah, dass es gut war!“
Und doch sagen Menschen, der Mensch müsse lernen, sich auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Oberstes Ziel eines Menschen seien Leistung, Erfolg und Ansehen. Es käme darauf an, nach oben zu gelangen – in Beruf und Gesellschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, sei jedes Mittel recht, und alles andere müsse davor zurücktreten.
An Weihnachten erfahren wir aber etwas ganz anderes. Ein ohnmächtiges und schwaches Kind liegt im Stall von Bethlehem – unbekannt und erfolglos. Dieses in der Welt und bei uns Menschen als Kind angekommene Wort Gottes ist nicht auf den ersten, vielmehr auf den letzten Platz gestellt, an den Rand des Dorfes, an den Rand des Geschehens. Dieses als Kind in einer Krippe angekommene Wort Gottes aber schenkt allen Verlierern, Gescheiterten, Ängstlichen und Sich-überflüssig-Fühlenden Hilfe und Gnade, es schenkt ein wirkliches Ankommen im Leben. Dieses Kind am Rand holt Menschen von den Rändern zurück in die Mitte, gibt ihnen Licht und Ansehen.
Die Weihnachtsbotschaft vermittelt einen neuen Lebensmaßstab: Es kommt darauf an, selbst ein „Kind Gottes“ zu werden und beim Kind in der Krippe anzukommen. Von diesem Kind, das im Stall zu Bethlehem geboren wurde, geht eine große Spannkraft aus: In die hoffnungslose Lage der Menschen und Völker ist Jesus von Nazareth als Antwort auf viele Lebensfragen eingebrochen. Seine Geburt bringt Spannung in das Leben der Menschen, die nach einer Antwort auf ihre Lebensfragen suchen und den Mut finden, der Weihnachtsbotschaft Glauben zu schenken.
Und doch sagen Menschen, der Mensch solle das Leben genießen und alles ergreifen, was sich bietet. Der Mensch solle das Heute auskosten, ohne an das Morgen zu denken. Der Mensch solle allein das glauben, was er sehen und anfassen könne. Nur das sei Wirklichkeit, was vor der menschlichen Vernunft bestehen könne. Wer sich Träumen hingebe, sei ein törichter Spinner und Fantast.
An Weihnachten erfahren wir aber etwas ganz anderes. Der Prolog des Johannesevangeliums bekennt: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen.“ Das ist die spannungsvolle Vision, ohne die die Welt nicht leben kann. Die Herrlichkeit Gottes, die sich in der Gestalt eines Kindes offenbart, gibt uns Menschen Hoffnung und Zukunft. Jeder ist zu dieser Herrlichkeit berufen, jeder, der sich der Botschaft von Bethlehem öffnet und auch am Morgen noch der Vision der Engel vom neuen, zart aufbrechenden und friedvollen Leben glaubt. Die Herrlichkeit Gottes ist mitten unter uns und lächelt uns aus den Augen eines hilflosen Kindes an.
Im Anfang des Lebens steht Gottes Wort an mich. Das ist die aufregende und hoffnungsvolle Botschaft von Weihnachten, die Vision, die auch am Morgen nach der lichten und stimmungsvollen Nacht des Hl. Abends bleibt. Es ist die heilsame Spannung der Weihnacht, die uns ermutigt, dem Leben zu trauen, weil Gott mitten in unserem Leben zugegen ist und von uns zu finden ist. Es ist die wunderbare Spannung, die uns immer wieder antreibt, aufzubrechen und ihm entgegenzugehen. Nicht nur heute, vielmehr an jedem Tag!
Ich wünsche uns gesegnete und spannende Weihnachtstage!
Ihr Weihbischof
Dr. Dominicus Meier OSB