Die kleinen Lichtblicke – Gedanken zum Weihnachtsfest
Mit dieser Krippe war die Botschaft der Ukraine bei einer Krippenausstellung auf dem Petersplatz in Rom vertreten. Sie überträgt das Geschehen in Bethlehem in das umkämpfte Stahlwerk Azovstal in Mariupol. (Foto: KNA)
Johannes Oeldemann war in diesem Jahr besonders gefragt. Er leitet das Möhler-Institut für Ökumenik, sein Schwerpunkt sind die Orthodoxen. So wollten auch wir mehrfach von ihm wissen: Was ist da los in der Ukraine – und in Moskau? Jetzt haben wir ihn um Gedanken zum Weihnachtsfest gebeten.
Bald werden wir wieder die uns allen bekannten Worte des Weihnachtsevangeliums hören. Schon immer hatte ich dabei das Gefühl, dass unser „Bild“ von Weihnachten, wie es in vielen Krippendarstellungen – ob im heimischen Wohnzimmer oder in den Kirchen – zum Ausdruck kommt, viel zu idyllisch ist. Die harte Realität der Herbergssuche und der kalte Ort der Geburt Jesu passen nicht so recht zu der warmen Atmosphäre, die unsere Weihnachtsgottesdienste und das familiäre Beisammensein um den Weihnachtsbaum vermitteln. Es lohnt daher, sich den Bericht über die Geburt Jesu im Lukasevangelium noch einmal genauer anzuschauen. In diesem Jahr bin ich beim Lesen des Textes vor allem über einen Vers „gestolpert“, und zwar über die Worte der Botschaft, die die Engel den Hirten auf den Feldern überbringen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lk 2,14).
„Friede auf Erden“? Den wird uns das diesjährige Weihnachtsfest wohl nicht bescheren. Müssen solche Worte nicht wie Hohn in den Ohren derjenigen klingen, die auf den Schlachtfeldern dieser Welt, ob in der Ukraine oder in Syrien, in Äthiopien oder im Jemen, verwundet oder getötet werden? Durch die russische Invasion in der Ukraine ist uns der Krieg so nahe gerückt wie lange nicht mehr. Wir spüren die Auswirkungen ganz unmittelbar: durch die zahlreichen Geflüchteten aus der Ukraine, die bei uns Schutz suchen, durch gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise, durch die Sorge um die Zukunft und die Angst vor einer Ausweitung des Krieges auf ganz Europa.
„Der Friede scheint in diesem Jahr mehr denn je gefährdet“
Der Friede scheint in diesem Jahr mehr denn je gefährdet. Und das nicht nur in der Ukraine und den anderen Ländern dieser Welt, in denen Waffen eingesetzt werden, um Gegner zu töten und den eigenen Machtbereich zu erweitern, sondern – in einem übertragenen Sinn – auch bei uns. Die Polarisierung in unserer Gesellschaft wird immer stärker: zwischen Arm und Reich, zwischen Ost und West, zwischen „Putin-Verstehern“ und Russlandkritikern, zwischen den Aktivisten der „Letzten Generation“ und der umweltbewussten Mittelschicht.
Diese Tendenz zur Polarisierung ist auch innerhalb der Kirchen spürbar: zwischen denjenigen, die traditionelle Werte und Formen des Glaubens bewahren wollen, und denjenigen, die eine Reform der Kirche für dringend erforderlich halten, zwischen Befürwortern und Gegnern des Synodalen Weges in Deutschland, zwischen einzelnen Bischöfen, aber auch zwischen dem Vatikan und der katholischen Kirche in Deutschland. Die Toleranz gegenüber Andersdenkenden nimmt ab, der Ton wird schärfer, Worte werden zu Waffen, die verletzen (und dies manchmal auch wollen), die eigene Weltsicht und das eigene Kirchenbild werden zur unhinterfragbaren „Wahrheit“ erklärt.
„Friede den Menschen seines Wohlgefallens“
In dieser Situation hören wir die Worte des Weihnachtsevangeliums „Friede den Menschen seines Wohlgefallens“. Wer soll hier wem „wohlgefallen“? Verspricht Gott den Frieden etwa nur Menschen, die ihm „wohlgefallen“, die seinen Willen tun, deren gute Werke sie Gott „wohlgefällig“ erscheinen lassen? Nein, der Blick in den griechischen Urtext des Evangeliums offenbart, dass es hier nicht um den „good will“ der Menschen geht (die lateinische Übersetzung „“bonae voluntatis“ führt hier auf eine falsche Fährte), sondern um Gottes Wohlgefallen (griech. eudokia), um seine Gnade.
Gott wendet uns sein Wohlgefallen aus Gnade zu. Er sendet den „Retter“, den Messias, den Heiland. Nicht als mächtigen Herrscher, sondern als kleines Kind in der Krippe, das in seinem Leben alles Menschliche durchleben und zugleich das Göttliche in diese Welt bringen wird. An Weihnachten wird der Friede nicht einer Gott wohlgefälligen Gruppe „wahrer“ Christen verheißen, sondern allen Menschen – rein aus Wohlgefallen, ganz aus Gottes Gnade. Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus eröffnet allen Menschen den Weg zu Gott, nicht nur den „Auserwählten“.
Allem, was Gott geschaffen hat, sollen wir „Ehre“ erweisen
„Ehre sei Gott in der Höhe“! Es ist dieser Vor-Satz, der uns den Weg weist, wie Friede auf Erden werden kann: Wenn Menschen Gott die Ehre erweisen, werden sie auch ihren Mitmenschen, die wie sie von Gott geschaffen wurden, mit Respekt begegnen. Wer das bedenkt, wird seine Worte über diejenigen, die nicht seiner Meinung sind, sorgfältiger abwägen und den anderen nicht gleich verurteilen. Wer Gott die Ehre erweist, stellt nicht sich selbst in den Mittelpunkt, sondern erkennt Gott im anderen, im „Nächsten“, aber auch im „Feind“. Die Bedeutung dieser Botschaft reicht aber über das rein Zwischenmenschliche hinaus: Allem, was Gott geschaffen hat, sollen wir „Ehre“ erweisen – auch den Tieren, den Pflanzen, der ganzen Schöpfung. Gott zu ehren heißt, seine Schöpfung zu bewahren.
Das bedeutet aber auch: unseren Lebensstil zu ändern, der nach wie vor auf der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen basiert, der daher den Klimawandel beschleunigt, Umweltkatastrophen befördert und die Menschen aus Dürre- oder Überschwemmungsgebieten zur Flucht zwingt. Nicht nur Kriege erhöhen die Zahl der Migranten, sondern auch die sich immer deutlicher abzeichnende Klimakatastrophe. Wenn wir daher in diesem Winter Energie sparen, sollten wir das nicht nur tun, um unseren Geldbeutel zu schonen, sondern auch um die tieferliegenden Ursachen der Kriege dieser Welt und der Flüchtlingsströme zu bekämpfen.
„Lasst uns aufmerksam sein für die kleinen Lichtblicke in dieser Welt.“
„Friede auf Erden“! Das fasst in einer Kurzformel ins Wort, was wohl der größte Wunsch vieler Menschen an diesem Weihnachtsfest ist: Friede in den Kriegsgebieten dieser Welt, Friede zwischen verfeindeten Gruppierungen in Kirche und Gesellschaft, Friede in unseren Familien. Aber wo finden wir diesen Frieden? Die Nachrichten über Gräueltaten russischer Soldaten aus Orten wie Butscha, Irpin oder Mariupol führen uns die Grausamkeit des Krieges vor Augen. Es gibt aber auch die anderen, oft überhörten Nachrichten: von russischen Soldaten, die den in den bombardierten Städten zurückgebliebenen Alten und Kranken etwas zu essen bringen, von ukrainischen Soldaten, die sich um verwundete russische Soldaten kümmern. Es sind kleine Lichtblicke in einer von Grausamkeit geprägten Welt des Krieges.
Die Botschaft von Weihnachten lautet in diesem Jahr: Lasst uns aufmerksam sein für die kleinen Lichtblicke in dieser Welt. Denn ohne die Aufmerksamkeit für solche Lichtblicke hätten weder die Hirten das Kind im Stall noch die drei Weisen aus dem Morgenland den Stern am Himmel entdeckt. Lassen wir uns also vom Weihnachtsevangelium die Augen öffnen für solche Lichtblicke, die ein kleiner Hoffnungsschimmer in dieser sorgenvollen Zeit sind.
Dr. Johannes Oeldemann
Schauen Sie doch mal in die aktuelle DOM-Ausgabe zum Weihnachtsfest rein. Es lohnt sich bestimmt.
Wir alle vom Dom – Redaktion, Vertrieb, Anzeigenabteilung, Mediengestaltung und Druck – wünschen Ihnen gesegnete Weihnachten und einen ermutigenden Start ins neue Jahr.