Die Mutmacherinnen von Tacloban
Überlebenskampf: Andy Esperas erklärt Schwester Angeline Arceo, dass er seine Familie vom Fischfang nicht mehr ernähren kann. Foto: missio/Hartmut Schwarzbach
Im November 2013 fegt der Taifun Haiyan über die Philippinen und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung. Tausende Menschen sterben. Die Überlebenden stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Die Missionsbenediktinerinnen starten eine Initiative, um Fischerfamilien zu helfen: langfristige Hilfe, damit sich die Menschen ein neues Leben aufbauen können – selbstbestimmt und in Würde.
von Bettina Tiburzy
Mit solch einer Flutwelle hatten sie nicht gerechnet. In Sekundenschnelle drang das Wasser in das Erdgeschoss des Gebäudes, in dem Andy Esperas und seine Familie Schutz gesucht hatten. Unaufhaltsam stieg das Wasser die Treppe hoch. Bis es den ersten Stock erreichte. Dort harrten sie aus, bangend und hoffend, dass das Wasser nicht weiter steigen würde.
Andy Esperas, seine Frau Irish und ihre fünf Kinder stammen aus Kataisan, einem Fischerdorf nahe dem Flughafen von Tacloban. Die Familien wohnen in einfachen, zusammengezimmerten Häusern aus Holz und Wellblech unweit vom Strand. Als das Dorf von dem Taifun erfährt, beschließen die Familien, Schutz in einem der wenigen zweistöckigen festen Gebäude, der Polizeistation, zu suchen. Niemand hatte mit einer meterhohen Flut gerechnet. „Doch plötzlich sahen wir das Wasser in drei großen Wellen kommen“, berichtet Andy. „Ich sagte meiner Familie, wir halten uns aneinander fest. Egal was passiert, wir bleiben zusammen.“
Die Philippinen werden jedes Jahr von Taifunen heimgesucht. Doch die Wucht, mit der der Tropensturm Haiyan auf die Inseln Leyte und Samar traf, sprengte alle bis dahin bekannten Ausmaße der Zerstörung. Mindestens 6 300 Menschen starben, vier Millionen verloren ihr Dach über dem Kopf, mehr als 1 000 werden bis heute vermisst.
Stundenlang harrte Familie Esperas aus. Als es hell wurde, zeigte sich das Ausmaß der Katastrophe. Der Taifun hatte fast alle Häuser zerstört. Die Siedlung der Fischer aus einfachen Holzbauten sah aus, als hätte sie eine Planierraupe überrollt. Doch Familie Esperas war froh. Sie hatte die Jahrhundertflut überlebt.
Heute plätschern die Wellen sanft an den Sandstrand des Fischerdorfs Kataisan. Unter Palmen liegen aufgebockt bunte Boote. Am Morgen nach dem Taifun hatte die See hier die Leichen der Menschen angespült, die weniger Glück hatten als die Esperas.
„Es waren vielleicht tausend oder mehr“, erinnert sich Andy und zieht sein Auslegerboot an Land. „Manche der Toten hielten sich aneinander fest, wie Bruder und Schwester. Wir haben ganze Familien gesehen, die sich umklammert hielten.“ Für diejenigen, die überlebt hatten, begann ein neuer Überlebenskampf.
Es gab kein Trinkwasser und nichts zu essen. Ihre Häuser, die Boote – alles war zerstört. Andys ältester Sohn, der siebenjährige Aljun, klettert zwischen Reusen herum, mit denen sein Vater Krebse fängt. Seine fünfjährige Tochter Nina erhält Unterstützung von Schwester Celine, die ihr hinauf auf das hohe Boot hilft. Schwester Celine Saplala gehört zu den Missions-Benediktinerinnen. Gemeinsam mit ihrer Mitschwester Angeline Arceo besucht sie regelmäßig die Fischerfamilien. Schon vor dem Wirbelsturm engagierten sich die Ordensfrauen mit pastoralen Programmen für die Familien von Kataisan, auch mit Bildungsprogrammen für die Kinder.
Schwester Celine ist eine zierliche Frau. Doch geht es um die Fischerfamilien, ist ihr Einsatz riesengroß. „Wir wissen, dass wir nicht alle Probleme der Menschen lösen können. Doch wir versuchen zu helfen, wo immer es geht“, erklärt die 71-Jährige. Nach dem Taifun brachten die Schwestern schnell Hilfe auf den Weg. Am renommierten St. Scholastica’s College des Ordens in Manila sammelten Schwestern, Schüler und Eltern für die Opfer des Taifuns.
Ein Fischer watet mit einer Kiste in den Händen durch das seichte Gewässer auf den Strand zu. „Heute kein guter Fang“, seufzt er und zeigt Andy und den beiden Schwestern den Inhalt seiner Kiste.
Kleine silberne Fischchen bedecken den Boden, ein halbes Dutzend Krebse krabbelt auf ihnen herum. Andy nimmt einen heraus. „Der ist zu klein, um ihn zu verkaufen“, kommentiert er.
Die Fischer von Kataisan, die mit ihren kleinen Booten nur in den seichten Gewässern fischen können, fangen immer weniger Fische und Krebse. Die See ist fast leer. Der Fang reicht nicht mehr aus, um die Familien zu ernähren. „Das Leben ist sehr schwer“, erklärt Andy. Frühmorgens geht er fischen, nachmittags versucht sich Andy als Verkäufer kleiner Reiskuchen, die er in einem großen Topf auf dem Gepäckträger des Fahrrads transportiert. In einer Weiterbildung hat er gelernt, wie man Elektrokabel verlegt und sogar ein anerkanntes Zertifikat dafür bekommen – aber keine feste Arbeit.
Vor drei Monaten brachte seine Frau Irish die kleine Maria Rose zur Welt. Andys Augen leuchten, wenn er von ihr spricht. „Ich arbeite hart. Ich nehme jede Arbeit an, die ich bekommen kann“, erklärt er. „Meine Kinder sollen einmal eine bessere Zukunft haben.“
Nach dem Taifun haben die Ordensfrauen beschlossen, Land an einem vor Überflutungen sicheren Ort zu kaufen. „Dort soll die Siedlung ‚Sambayanan ni San Benito‘, das Dorf ,St. Benedikt‘, entstehen – 30 Häuser für vom Taifun betroffene Familien“, erklärt Schwester Celine. Das Projekt wird von missio unterstützt. Und ganz besonders wichtig ist ihr dabei, dass die Familien selbst mit anpacken und sich in das Projekt einbringen – damit eine starke Gemeinschaft wächst. „Die Familien brauchen einen sicheren Platz, wo sie menschenwürdig leben können“, erklärt Schwester Celine.
Bei Sonnenaufgang beginnen die Dorfbewohner die Karfreitagsprozession, die einmal um das ganze Dorf führt. Danach treffen sich die Familien an einer überdachten Kochstelle. Andy hat für das ganze Dorf Lugaw gekocht, einen nahrhaften Reisbrei. Die Ordensfrauen haben mehrere Paletten mit Eiern beigesteuert, die Andy in die Suppe rührt.
Dutzende Kinder hocken um den Topf, Plastikschüsseln in der einen, Löffel in der anderen Hand. Ungeduldig warten sie darauf, dass der Brei fertig wird. Endlich teilt Andy ihn aus. Zufrieden löffeln die Kinder ihren Lugaw. „Das macht satt“, erklärt Schwester Celine, wohl wissend, dass Hunger für einige der Kinder ein bekanntes Gefühl ist.