„Die Pflege muss raus aus der Jammerkultur“
Fotos: VKA Salzmann / kl. Foto: Flüter
Andrea Starkgraff und Timo Halbe sind seit Herbst 2017 Vorstände des Vereines katholischer Altenhilfeeinrichtungen e. V. Paderborn (VKA), des größten katholischen Trägers stationärer Pflege im Erzbistum Paderborn. Wir sprachen mit ihnen über Personalengpässe, das Image der Altenpflege, den Wettbewerb mit privaten Trägern und über Roboter im Altenheim.
Interview: Karl-Martin Flüter
Der Verein Katholischer Altenhilfeeinrichtungen e. V., kurz VKA, ist der größte katholische Träger für stationäre Altenpflege im Erzbistum Paderborn. Wie kommt der VKA mit dem sich anbahnenden Personalnotstand in der Pflege zurecht?
Timo Halbe: Die Probleme treten regional auf. In einigen Regionen ist es schwer, neue Mitarbeiter zu finden, in anderen finden wir schnell qualifiziertes Personal. Die Mitarbeiterbindung im VKA ist hoch: Unsere Mitarbeiter arbeiten gerne bei uns und bleiben oft ihr ganzes Berufsleben in einer Einrichtung.
Andrea Starkgraff: Wir arbeiten daran, noch attraktiver für Mitarbeiter zu werden. Das Geld ist nicht immer ausschlaggebend. Genauso wichtig ist die gute Arbeitsplatzgestaltung: sichere Freizeitplanung, Gesundheitsfürsorge, Qualifizierungsmaßnahmen oder Karriereplanung. Wir sagen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Es ist kein Problem, nach der Familienpause zurückzukommen oder mehr Stunden zu machen. Wenn ihr eine Fachweiterbildung machen wollt oder eine Führungsposition anstrebt, unterstützen wir euch. Viele unserer Führungskräfte haben in VKA-Einrichtungen Karriere gemacht. Sie kennen die Arbeit in den Häusern an den verschiedensten Stellen aus eigener Erfahrung. Diese Tradition wollen wir aufrechterhalten und systematisieren.
Auch Sie brauchen junge Menschen, die in die Pflegeausbildung gehen. Diese Generation wird jedoch vom schlechten Image in der Pflege abgeschreckt. Was können Sie dagegen unternehmen?
Andrea Starkgraff: Wir ermutigen unsere Pflegekräfte, in ihren sozialen Räumen, ihren Lebenswelten positiv über ihren Beruf zu berichten. Die überregionalen Kampagnen haben nichts gebracht. Ein regionaler Ansatz ist sinnvoller. Die Pflege muss raus aus ihrer Jammerkultur, die Pflegenden müssen zu ihrem Beruf stehen. Die deutliche Mehrheit unserer Mitarbeiter geht in ihrem Beruf auf. Wenn junge Leute von Pflegenden hören, wie toll dieser Beruf ist, dann ist das etwas anderes, als wenn wir von oben Werbung betreiben.
Zum schlechten Image der Pflege gehört die Meinung, Pflegekräfte würden schlecht bezahlt.
Andrea Starkgraff: Im Schnitt verdient eine Pflegefachkraft auf einer Vollzeitstelle 2 800 Euro brutto. Das ist mit anderen Berufsgruppen mit einer dreijährigen Ausbildung durchaus vergleichbar. Hinzu kommen Schichtzuschläge oder Zuschläge für Nachtwachen. Wer länger im Beruf ist, verdient mehr. Auch wer sich beruflich qualifiziert, erhält ein höheres Entgelt. Die Auszubildenden verdienen deutlich mehr als Azubis in vergleichbaren Berufen. Und dann gibt es bei den kirchlichen Trägern die Zusatzversorgungskasse für Mitarbeiter, eine arbeitgeberfinanzierte Rentenversicherung. Das haben private Mitbewerber auch, aber nicht so flächendeckend.
Als katholischer Träger zahlt der VKA nach den arbeitsvertraglichen Richtlinien des Deutschen Caritasverbandes (AVR). Ist das ein Wettbewerbsnachteil, weil private Träger nicht tariflich gebunden sind?
Timo Halbe: Kirchliche Träger, die wie wir nach Tarif oder AVR bezahlen, können durch die bessere Bezahlung auch personelle Qualität garantieren. Wenn man bei uns anfängt, sind die Konditionen klar und für alle gleich. Das ist bei manchen Wettbewerbern nicht immer so. Dort gibt es in den Einrichtungen oft unterschiedliche Arbeitsverträge. Die examinierten Pflegekräfte werden hofiert, die nicht examinierten Mitarbeiter erhalten entsprechend weniger.
Wenn flächendeckende und verbindliche Tarife in der Pflege gelten, wird Pflege für die Patienten teurer.
Andrea Starkgraff: Die Gefahr der überzogenen Entgeltsteigerungen trifft vor allem die renditeorientierten Unternehmen, die eine Gewinnspanne für ihre Anteilseigner brauchen. Wir müssen zwar mit dem Geld auskommen, das wir verdienen, aber anders als eine Aktiengesellschaft dürfen wir keine Gewinne erzielen.
Timo Halbe: Vielleicht liegen wir preislich etwas höher, aber bei uns bewerben sich die Pflegekräfte, weil sie wissen, dass sie bei uns nach arbeitsvertraglichen Richtlinien der Caritas entlohnt werden und sich auch auf diese verlassen können. Davon profitieren unsere Bewohner und wir haben durch die AVR in diesem Bezug einen Wettbewerbsvorteil.
Krankenpfleger verdienen mehr als Altenpfleger. Auch das ist ein Grund für den Personalnotstand in der Altenpflege. Würde die generalisierte Altenpflegeausbildung, die eine gemeinsame Ausbildung vorsieht, das ändern?
Andrea Starkgraff: Ich bin für die Generalistik. Unsere Altenpfleger können in vielen europäischen Ländern nicht arbeiten, weil das Berufsbild dort nicht anerkannt ist. Ich glaube, dass viele Pflegende nicht nur wegen des Geldes in die Krankenpflege gehen, sondern weil es in der Krankenpflege scheinbar mehr als in der Altenpflege um Medizin geht. Auch das ist ein Imageproblem. Es ist leider nicht genügend bekannt, dass Altenpflegekräfte sehr selbstständig in der Entscheidung sind. Altenpflege ist kein Assistenzberuf wie die Krankenpflege im Krankenhaus. In der Altenpflege entscheidet eine Fachkraft über den gesamten Pflegeprozess. Das setzt eine gute Ausbildung voraus.
Gehören „lernende Technologien“ und Pflegeroboter zur Zukunft im Altenheim, um Kosten einzusparen?
Andrea Starkgraff: Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Technologien in Zukunft brauchen. Das bedeutet nicht die Einführung von Robotern, die Menschen waschen. Für die direkte Pflege brauchen wir immer die Beziehung Mensch zu Mensch. Aber es gibt Tätigkeiten, für die wir Technik und Roboter einsetzen können, etwa bei der Reinigung der Räume oder bei der Medikamentengabe. Da stehen wir erst am Anfang. Timo Halbe: Auch bei der Warenwirtschaft in den Häusern, beispielsweise bei der Nachbestellung von Lebensmitteln oder von Pflegehilfsmitteln, kann uns die Technologie viel abnehmen. Jedes Pflegebett muss regelmäßig überprüft werden. Was wir da an Zeit einsparen können, können wir für die Pflege verwenden.
Gerade wenn neue Technologien in die Pflege eingeführt werden, stellt sich die Frage: Was ist wirklich wichtig? Was ist der Kern der Pflege?
Andrea Starkgraff: Es kommt darauf an, Pflege ganzheitlich zu gestalten. Was der Mensch braucht, was er sich wünscht, soll er in der Pflege erhalten. In Deutschland wird Pflege über die Grundpflege definiert: Tätigkeiten wie Waschen oder Essen anreichen. Aber wir erleben einen nicht untypischen Wandel. Im Ausland ist die Organisation des Pflegeprozesses Aufgabe der Pflegefachkraft. Das ändert sich auch bei uns. Pflegekräfte sind immer mehr für die gestaltenden Prozesse der Pflege zuständig. Die Ausführung übernehmen angeleitete Kräfte. Dieser Wechsel stößt bei unseren Mitarbeitern nicht immer auf Gegenliebe. Viele Mitarbeiter sind in die Pflege gegangen, weil sie Menschen direkt helfen wollen.
Die Kosten für stationäre Pflege sind hoch. Entgelte über 3 000 Euro im Monat sind nicht selten. Den größten Teil der Summe müssen die Bewohner oder ihre Angehörigen zahlen. Ist Pflege zu teuer?
Timo Halbe: Wenn ich in einem günstigen Hotel übernachte, zahle ich dafür 62,50 Euro. Im Monat wären das über 1 800 Euro – ohne Essen, ohne behindertengerechte Ausstattung, auch die Wohnfläche des Hotelzimmers ist oftmals kleiner als in einem Pflegeheim. Die Investitionskosten für ein Pflegeheim, also der Betrag für den „Raum“, liegt in unseren Einrichtungen zwischen 10 und 23 Euro pro Tag. Das ist ein großer Unterschied. Der VKA ist eine Non-Profit-Organisation. Unser Auftrag ist es nicht, hohe Gewinne zu erzielen, sondern den Menschen zu helfen. Dennoch hätte ich manchmal gerne die Gewinnmarge, die Hotelketten haben. Damit könnte man viel Gutes tun. Wir verwenden unsere Einnahmen zu 80 Prozent für unser Personal. Wir zahlen nach AVR und das machen wir gerne, weil wir Leute wollen, die qualifiziert sind. Dann müssen wir das aber auch bezahlbar machen.
Überall im Erzbistum bauen private Träger neue Pflegeeinrichtungen. Planen auch Sie neue Projekte?
Andrea Starkgraff: Es kommt immer wieder vor, dass ein Kreis oder eine Kommune anfragt, ob wir interessiert sind, eine weitere Einrichtung zu bauen. Wir werden dann, wenn es Sinn macht, unsere Angebote ausweiten, sind aber eher zögerlich, weil wir nicht wissen, ob und wie wir diese Einrichtung in einigen Jahren betreiben können, wenn die Altenpflege schon jetzt bundesweit einen Personalengpass hat. Wir haben schließlich den gesellschaftlichen Auftrag, unsere Bewohner auf Dauer gut zu versorgen. Da befürchte ich bei manchen Wettbewerbern Schwierigkeiten. Wenn man sieht, in welcher Größenordnung die mit neuen Projekten an den Start gehen, können Probleme mit dem Personal eigentlich nicht ausbleiben. Wer arbeitet dann dort? Sind das noch Menschen, die unsere Bewohner verstehen?