Die unwiderstehliche Kraft der Poesie
Poesie brauchen die Menschen zum (Über-) Leben. Foto: Trust „Tru“ Katsande/ Unsplash
Hauptsache die Haare liegen und die Frisur sitzt. Das tut sie längst nicht mehr. Der „Corona- Look“: Das ist die herausgewachsene Farbe bei der Frau vor uns in der Schlange an der Kasse im Drogeriemarkt. Oder der zu lange Pony, den sich die Kollegin während der Zoom- Konferenz vergeblich aus dem Gesicht zu streichen versucht. Zugegeben: Das ist wieder Jammern auf ganz hohem Niveau, aber das Fehlen der offenen Friseursalons fällt uns ins Auge. Aber was ist mit dem nicht aufgeführten Theaterstück, das abgesagte Konzert oder die bis auf Weiteres verschobene Ausstellungseröffnung?
Natürlich tragen wir diese unstillbare Sehnsucht nach Kino, Kunst und Kultur in unseren Herzen. Gleichzeitig schämen wir uns dafür, wenn Bilder aus bitterarmen Ländern, Flüchtlingslagern oder aus Intensivstationen über den Bildschirm flimmern. Vorschnell wird im Angesicht von Elend und Verzweiflung Kultur zum verzichtbaren Luxus abgestempelt.
Doch dann gibt es diese schicksalsträchtigen Momente, in denen sich die Kultur plötzlich erhebt, um mit ihrer ganzen Kraft, Macht und Schönheit die Menschen in ihren Bann zu ziehen. So geschehen auf den Stufen des Capitols. Als die Lyrikerin Amanda Gorman bei der Amtseinführung von Joe Biden ihr Gedicht „Der Hügel, den wir erklimmen“ vortrug. Selbstverständlich beziehen sich die Zeilen auf Amerika, aber auch wir Christinnen und Christen finden Trost und Zuversicht, wenn wir bei ihren Worten an unsere Kirche denken: „Und ja, wir sind alles andere als lupenrein, / alles andere als makellos, […] Wir streben danach, gezielt eine Gemeinschaft zu schmieden. […] / Und so erheben wir unseren Blick nicht auf das, was zwischen uns steht,/ sondern auf das, was vor uns steht. / Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an erste Stelle zu setzen, / zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen müssen.“
Gänsehaut- Zeilen
Das sind doch Gänsehaut- Zeilen, die ein wohliges Kribbeln auslösen. Die Mut machen. Die uns tragen. Die uns zeigen, wie essenziell Kunst und Kultur für unsere menschliche Existenz sind.
Es ist eine bittere Ironie, dass ausgerechnet die Kreativwirtschaft, die wir jetzt dringender denn je brauchen, um einen „Lockdown der Seele“, wie es der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick formulierte, zu vermeiden, komplett am Boden liegt. Wir brauchen unsere Dichterinnen und Dichter, überhaupt alle unsere Kulturschaffenden mehr denn je. Auch wenn ihr Fehlen nicht sofort ins Auge springt oder um es mit den Zeilen von Amanda Gorman zu sagen: „Wir fürchteten zu Beginn, / wir fühlten uns nicht bereit, Erben einer solch schrecklichen Stunde zu sein, / doch in ihr fanden wir die Kraft / ein neues Kapitel zu schreiben, /uns selbst Hoffnung und Lachen zu schenken.“
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