Die Wohnung zur Gemeinde öffnen
Prof. Dr. Reimer Gronemeyer beschrieb Demenz als eine der großen Herausforderungen unserer Zeit.
Siegen. „Selbstbestimmt Leben und Wohnen mit Demenz“ war das Thema einer Tagung in Siegen. Dabei wurde nicht nur über das Leben mit Demenz geredet. Auch Betroffene kamen zu Wort. Organisiert wurde die Tagung in der Siegerlandhalle vom Demenz-Servicezentrum Region Südwestfalen im Caritasverband Siegen-Wittgenstein und dem Kreis Siegen-Wittgenstein.
Das Bedürfnis der an Demenz Erkrankten ist klar: „Wir wollen nicht aus der Gesellschaft fallen.“ So fasste es Detlef Rüsing vom Dialogzentrum Demenz der Universität Witten/Herdecke zusammen. „Wir liegen mit dem Thema voll im Trend“, sagte Matthias Vitt, Vorsitzender des Caritasverbandes Siegen-Wittgenstein. Dies beweise die Tatsache, dass die Tagung mit 150 Personen ausgebucht war und die Teilnehmer aus vielen Regionen Deutschlands angereist waren. Neben Pflegekräften waren auch Vertreter der Wohnungswirtschaft, Architekten, kommunale Verwaltung und Auszubildende der Altenpflege anwesend.
Erstmalig in Siegen kamen bei einer öffentlichen Veranstaltung auch Menschen mit Demenz zu Wort. Sie wurden von Detlef Rüsing empathisch und einfühlsam befragt. „Nein, das ist nichts für mich!“, betonte Tanja Reinhardt auf die Frage, ob sie sich zum Wohnen auch eine stationäre Einrichtung vorstellen könnte. Herbert Löfflers erste Frage war, nachdem er die Diagnose Alzheimer-Demenz bekommen hatte: „Wo ist hier eine Selbsthilfegruppe?“ Nicht die Frage nach der Wohnsituation ist für ihn wichtig, sondern die nach der Teilhabe am Leben. Da hilft ihm die von ihm selbst gegründete Selbsthilfegruppe. „In der Selbsthilfegruppe ist eine Vertraulichkeit. Wir sind alle auf einer Ebene“, sagte er und äußerte einen Wunsch. „Ich darf nicht mehr Auto fahren und da stellt sich immer die Frage: Wie komme ich zur Selbsthilfegruppe oder sonst wohin? Da brauche ich Unterstützung, damit auch meine Frau entlastet ist.“
Für die beiden an Demenz Erkrankten ist das „Hier und Jetzt“ wichtig. „Ich genieße das. Und hoffe, dass es noch lange so bleibt“, sagte Tanja Reinhardt.
Prof. Dr. Reimer Gronemeyer aus Gießen beschäftigte sich in einem Vortrag mit der sozialen Seite der Demenz. „In unserer Gesellschaft brechen die Milieus weg, die das Eingebundensein repräsentieren – wie Vereine, Parteien oder Kirchengemeinden. Wir vereinzeln. Und die Demenz verstärkt dieses Gefühl.“ Der Auftrag demenzfreundlicher Kommunen sei es, die Betroffenen als Menschen wahrzunehmen und nicht als Träger einer Erkrankung. „Demenz ist eine der großen politischen, sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Und dieser Herausforderung sollten wir uns rechtzeitig stellen“, sagte Gronemeyer.
Reiner Jacobs vom Kreis Siegen-Wittgenstein betonte, Kreis und Kommunen müssten in dieser Frage moderieren und eine Plattform für Engagierte schaffen. „Die Kreisverwaltung kann dabei zur Seite stehen, Ziele vereinbaren und helfen, diese umzusetzen.“ Dabei müssten auch Rahmenbedingungen für ehrenamtliche Unterstützungsangebote geschaffen werden, wie es durch die Zukunftsinitiative 2020 im Kreis Siegen-Wittgenstein schon gut gelungen sei.
„Die Wohnung muss sich zur Gemeinde öffnen“, benannte Anne Wiegers vom Landesbüro innovative Wohnformen als Ziel demenzfreundlicher Kommunen und bot diesen dabei Hilfe und Unterstützung an. Deutlich wurde in Diskussionsrunden jedoch, wie mühselig das praktische Geschäft immer noch ist. Anne-Kathrin Savelsberg hat als Angehörige eine Demenz-Wohngemeinschaft gegründet. „Es gibt ja viele Ämter in Deutschland. Wir hatten Glück, dass wir Unterstützung erfahren haben. Aber es hat lange gedauert und wir haben immer wieder Gespräche geführt, bis die Verantwortlichen überzeugt waren.“
Die positive Rolle, die Wohnungsbaugesellschaften übernehmen können, hob Sabine Seitz von der GAG Immobilien AG aus Köln hervor. „Wir haben Sozialbetreuer im Quar-tier, denn unsere Mieter sollen die Chance haben, so lange wie möglich in ihrem Quartier alt zu werden. Dafür bieten wir auch Demenz-Wohngemeinschaften an.“ Viele Diskutanten bemängelten, dass die formalen Anforderungen immer größer würden und nicht zielführend sind, Menschen in ihrem Quartier alt werden zu lassen. Detlef Rüsing forderte vehement dazu auf, sich über andere Wohnformen Gedanken zu machen, wenn eine stationäre Versorgung von den Menschen nicht gewünscht werde. „Wir müssen die stationäre Altenhilfe neu denken“, forderte er. Mehr Infos: www.demenz-service-suedwestfalen.de