Digitalisierung verändert das Trauern
Können Menschen durch Künstliche Intelligenz unsterblich werden? Was macht es mit Trauernden, wenn sie durch KI und Digitalisierung in die Lage versetzt werden, mit Toten sprechen zu können? Ein Soziologe formuliert erste Antworten.
München (KNA). Der technische Fortschritt wird nach Erkenntnissen des Tübinger Soziologen Matthias Meitzler Trauerprozesse weltweit stark verändern. Tod und Verabschiedung, der Begräbnisort und die Erinnerung an den Verstorbenen träten immer weiter auseinander, sagte der Forscher am Donnerstag bei einer Fachtagung in München.
In absehbarer Zeit könnten aus Daten Verstorbener mit Künstlicher Intelligenz Avatare geschaffen werden, die von ihren Vorbildern nicht mehr unterscheidbar seien. Spätestens dann stelle sich die Frage nach einer Kennzeichnungspflicht. Nutzer müssten erkennen können, dass sie es mit einem digitalen Doppelgänger zu tun hätten.
Ob eine solche Form des künstlich generierten Weiterlebens einer Person nach ihrem Tod für Trauerprozesse hilfreich oder eher hinderlich ist, konnte Meitzler noch nicht sagen. Dafür hätten bisher zu wenig trauernde Menschen Erfahrungen mit Avataren. Auf jeden Fall müsse dazu noch mehr geforscht werden. Auch dürfe nicht übersehen werden, dass die Entwickler dieser neuen Technologien keine Trauerexperten seien.
Die Gefahr einer Flucht in eine „Scheinrealität“
In qualitativen Interviews mit Gesprächspartnern in Deutschland stieß der Wissenschaftler nach eigenem Bekunden überwiegend auf Skepsis und Vorbehalte. Eine dauerhafte Präsenz von Avataren und eine anhaltende Kommunikation mit ihnen nach einem Todesfall könne demnach dazu führen, dass Verlust und Abschied eines geliebten Menschen nicht mehr akzeptiert würden. Sie beförderten die Flucht in eine „Scheinrealität“, könnten womöglich süchtig machen und das „Loslassen“ blockieren.
Meitzler sagte dazu, die Entwicklung werde von kommerziellen Unternehmen vorangetrieben. Der Wunsch nach Kundenbindung könnte dazu führen, dass die Avatare ihren Nutzern deshalb signalisierten: „Bitte, lass mich kein zweites Mal sterben.“ Hier werde es wahrscheinlich gesetzlichen Regulierungsbedarf geben.
Digitalisierung und die „postmortalen Selbstoptimierung“
Eine wichtige Frage sei, wer darüber entscheiden dürfe, wie solche Avatare programmiert und gebaut würden, sagte Meitzler. Und wie authentisch sie mit ihrem Vorbild übereinstimmen müssten, oder ob sie im Sinne einer „postmortalen Selbstoptimierung“ designt werden dürften.
Der Mainzer Jesuit Eckhard Bieger plädierte in der Diskussion dafür, dass jeder Mensch zu Lebzeiten die Entscheidungshoheit darüber bekommen sollte, ob ein Avatar von ihm angefertigt werden könne oder nicht. Der Soziologe fügte hinzu, sämtliche Vorbehalte gegenüber diesen Technologien änderten nichts daran, dass sie weiterentwickelt würden und sich auch ausbreiteten. Verbote könnten diesen Wandel nicht aufhalten. Dabei würden manche technischen Möglichkeiten überschätzt und Gewöhnungseffekte zugleich unterschätzt. Den Kirchen empfahl der Forscher, sich über diese Entwicklungen kundig zu machen und eigene Angebote für den Umgang mit Tod und Trauer immer wieder anzupassen.
Meitzler äußerte sich in München bei einer Tagung in der Katholischen Akademie in Bayern zu Auswirkungen Künstlicher Intelligenz auf die Kirchen.
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