Doch am toten Punkt? – Ein Editorial von Claudia Auffenberg
Ist die katholische Kirche wirklich an einem toten Punkt angekommen, fragt Claudia Auffenberg. Das Wort vom „toten Punkt“ stammt aus einem Text von P. Alfred Delp aus dem Jahr 1944.
Als Kardinal Marx im vergangenen Jahr seinen Rücktritt anbot, diagnostizierte er, die Kirche sei „an einem gewissen ,toten Punkt“, der aber auch, das ist meine österliche Hoffnung, zu einem ,Wendepunkt‘ werden kann“. Das Wort vom „toten Punkt“ stammt aus einem Text von P. Alfred Delp aus dem Jahr 1944. Delp ist nicht ganz so optimistisch wie Marx, was aber gewiss auch mit seiner persönlichen Lage und der seines Landes zu tun hat. Er sitzt zu diesem Zeitpunkt in Haft, erwartet seine Hinrichtung und blickt in ein in jeder Hinsicht zerstörtes Land. Offenbar treibt ihn die Frage um, warum die Kirchen (Plural!) diese Katastrophe nicht verhindern konnten. Er kommt zu dem Schluss: „Wir sind trotz aller Richtigkeit und aller Rechtgläubigkeit an einem toten Punkt.“
Angesichts der Nachrichtenlage ist man stimmungsmäßig derzeit eher bei P. Delp. Nur mal ein paar Schlagworte: Nach Adveniat hat jetzt auch das Hilfswerk Renovabis mit einem Missbrauchsfall zu tun. In fast allen Bistümern werden Gutachten erarbeitet, das Thema wird uns also eine Weile erhalten bleiben und wir werden vermutlich noch weitere Säulenheilige stürzen sehen, die in den letzten Jahrzehnten ein Bischofsamt innehatten. Schließlich am Freitag vergangener Woche die Schocknachricht aus Speyer: Der dortige Generalvikar Andreas Sturm hat nach eigenen Angaben jede Hoffnung in die Kirche verloren und wechselt zur alt-katholischen, um dort als Priester zu wirken. Lieber Himmel, was kommt denn noch?
Ach, wenn man doch ein bisschen in die Zukunft schauen könnte! Zehn Jahre würden ja schon ausreichen. Wie wird unsere Kirche im Jahr 2032 aussehen? Wird etwas geschehen sein, das die allgemeine Lethargie, die allüberall zu spüren ist, aufgebrochen hat? Läuft womöglich ein Konzil? Denn irgendwie hat man doch das Gefühl, am Vorabend einer großen Veränderung zu stehen – oder sollte der Wunsch Vater des Gedankens sein?
Den „toten Punkt“ begründet P. Delp damit, dass die „christliche Idee keine der führenden Ideen des 20. Jahrhunderts mehr“ sei. An diesem Punkt möchte man ihm widersprechen und das nicht nur, weil wir inzwischen im 21. Jahrhundert leben. Das gesellschaftliche Gefüge der Bundesrepublik, die er nicht mehr erlebt hat, ist durchdrungen von christlichen Ideen. Und während nicht wenige in der Kirche die Erfahrung machen, dass man außerhalb der Kirche mit ihnen lieber nichts mehr zu tun haben möchte, stellt sich in der Karwoche Thomas Gottschalk in die Essener Innenstadt und erzählt vor einem Millionenpublikum – begleitet von vielen Stars und Sternchen – die Passion Jesu. Und in Oberammergau drängelt sich die Prominenz zur Premiere.
Mit Jesus kann man sich noch sehen lassen, so scheint es. An ihm liegt es also nicht.
Ihre
Claudia Auffenberg