„Du hast Worte des ewigen Lebens“
Wollt auch ihr gehen? Werktagsgottesdienst in Deutschland. Die Bänke sind leer und bei denen, die noch da sind, fragt man sich: Wie lange noch? Foto: KNA
Die Entscheidung für Jesus schließt Fragen ein, nicht aus.
von Manfred Pollmeier
Hätten Sie gewusst, dass Jesus in den vier Evangelien insgesamt 300 Fragen stellt? Das Fragen kann unterschiedliche Bedeutung haben. „Warum habt ihr solche Angst?“, fragt Jesus seine Jünger, als er im Boot beim Seesturm geweckt wird und ihre Not sieht. Oder „Worüber habt ihr gesprochen?“, als die Jünger gerade darüber streiten, wer unter ihnen der Größte sei. Auf Schritt und Tritt begegnet uns der fragende Jesus in Streitgesprächen mit Pharisäern und Schriftgelehrten, in Diskussionen mit seinen Jüngern.
Die Frage im heutigen Evangelium geht allerdings unter die Haut: „Wollt auch ihr gehen?“ Kurz vor dem heutigen Abschnitt berichtet Johannes von der Brotvermehrung. Die Leute haben Jesus zugejubelt. Sie sind in Scharen gekommen. Er wollte ihnen den Hunger stillen, den Hunger nach Sinn und nach Leben, einen Hunger nach Gott. Diesen Hunger wollte er stillen mit seiner Hingabe, mit seinem Fleisch und Blut. Doch sie verstanden ihn nicht oder wollten ihn nicht verstehen. Da setzt das heutige Evangelium ein: „Viele von seinen Jüngern sagten: Seine Worte sind hart. Wer kann sie anhören?“ Die Bibelwissenschaftler gehen davon aus, dass es einen Streit innerhalb der johanneischen Schule gegeben haben muss, zu der Frage, wer dieser Jesus sei. Ist Jesus wirklich Gottes Sohn oder doch nur ein begnadeter Prediger und Prophet?
Ich denke, wir sind damit ganz nah bei unserer heutigen Glaubenssituation. Vieles, was früher selbstverständlich war, zerbricht. Die Kirchen werden immer leerer. Angehörige treten aus der Kirche aus. Und Enttäuschungen mit der Amtskirche zu aktuellen Fragen der Zukunft sind ernüchternd. Man hätte so vieles gern anders gehabt. So wie Jesus damals fühlen sich manche engagierte Christen in den Kirchengemeinden alleingelassen und nicht verstanden. In dieser Situation werden sie ebenfalls mit der Frage Jesu konfrontiert: „Wollt auch ihr gehen?“ Als würde Jesus seine Jünger damals und auch uns heute wieder freigeben und uns nicht festhalten wollen. Er will keine Marionetten, sondern Christen, die sich frei für ihn und für seine Botschaft entscheiden.
Die Antwort des Petrus ist nicht nur ein Glaubensbekenntnis, sondern sie regt zum Nachdenken an: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes“. Wer zu Jesus gehören will, der wird nie aufhören, Fragen zu stellen. Der wird nie fertig sein, weil auch ein Christ mit Krisen zu leben hat. Mit der Krise des Zweifelns und der Sinnleere, mit der Einsamkeit und der Angst des Unbekannten. Das war von Anfang an so. Es geht um die eigene Lebenserfahrung mit diesem Jesus.
Der Glaube ist nicht statisch, so wie das Leben nicht statisch ist. Er wird herausgefordert und muss der Krise standhalten, wie eine gute Beziehung Notzeiten erträgt. Aber Jesu Worte geben uns Hoffnung auf eine bessere Welt. Eine Welt, wie Gott sie sich vorstellt. Seine Worte lassen uns ahnen, dass wir unseren Lebenshunger nie stillen können. Wir können uns die Erfüllung unserer Sehnsucht nur schenken lassen. Und seine Worte machen Mut, dass er in diesen Umbruchzeiten uns begleitet und trägt und ihnen Sinn gibt, auch wenn wir es nicht erkennen. Das kann auch unser Bekenntnis werden: „Du, Herr, hast Worte des ewigen Lebens.“
Zum Autor:
Pfarrer Manfred Pollmeier ist Leiter des Pastoralen Raumes Werre-Weser.