11.05.2017

Ein ganz besonderer Gottesdienst

Nicole Hölker und Bernward Kesting entzünden in der eigenen ­Kapelle die Osterkerze. Foto: Körtling

Hamm. Das Seniorenzentrum St. Bonifatius bietet bei seinen Gottesdiensten ein Angebot für eine sehr spezielle Zielgruppe – Menschen mit Demenz. Seit einem Jahr finden diese Gottesdienste nun statt, und die Bilanz ist durchweg positiv. Die Bewohner, die Angehörigen und Mitarbeiter profitieren davon.

von Peter Körtling

Das Verlangen nach Spiritualität lasse bei demenziell Erkrankten nicht nach. Dazu hätten viele Angehörige gesagt, sie fänden es schade, dass etwa der Vater nicht mehr wie früher den Gottesdienst besuchen könne, sagt Nicole Hölker, Seelsorgerin des Caritas Seniorenzentrums St. Bonifatius. Daher fasste sie, in Absprache mit Einrichtungsleiter Bernward Kesting, den Entschluss, ein spezielles Angebot für diese Bewohner zu entwickeln. Kesting war begeistert, denn in dem Haus solle nicht nur dem Leben Jahre gegeben, sondern auch die Jahre mit Leben gefüllt werden.

Bevor der erste Gottesdienst stattfand, begann Hölker mit der fachlichen Auseinandersetzung: „Ich habe mir Literatur zu dem Thema besorgt und vieles gefunden, was beachtet werden muss“, sagt die Fachfrau. Die Liturgie im Haus sollte ökumenisch sein, damit alle Bewohner teilhaben können. Dazu musste sie Schlüsselsätze aus dem evangelischen und dem katholischen Ritus einfügen. Die Sprache wurde bewusst einfach gehalten, um niemanden zu überfordern. Dazu kommt, dass die Form alle Sinne ansprechen muss.

Hölker liefert ein Beispiel: „Zum Erntedankfest haben wir Brot und Weintrauben ausgelegt.“ Dann hat sie eine Teilnehmerin gefragt, was denn an diesem Tag gefeiert würde. Die Dame habe sofort „Erntedank“ geantwortet. Zu Ostern wurde überall mit Blumen gearbeitet und solche Veranschaulichungen seien immer dabei. Dieses geradezu haptische Erleben helfe wunderbar, sich am Kirchenjahr zu orientieren.

Im Durchschnitt nehmen 12 Bewohner mit ihren Angehörigen an diesem Gottesdienst teil und alle seien begeistert. „Wir haben auch Bewohner dabei, die kaum noch sprechen“, sagt Hölker. Doch den 23. Psalm rezitierten alle vom Anfang bis zum Ende mit. „Auch wenn das Tantum Ergo gesungen wird, sind alle mit Eifer dabei“, sagt die Seelsorgerin. In diesen Momenten seien auch die Angehörigen glücklich.

Der positive Effekt auf die Bewohner zeige sich aber nicht nur durch das Sprechen: Viele Demenzerkrankte litten unter einer ständigen inneren Unruhe. Wie sehr der Gottesdienst in der hauseigenen, stets ansprechend gestalteten Kapelle beruhige, zeige sich oft: „Wenn ein Bewohner nach dem zweiten Lied eingeschlafen ist, dann haben wir – auch wenn es Außenstehenden erst mal schwerfällt, das zu verstehen – alles richtig gemacht“, sagt Hölker und lächelt. Die Bewohner, die regelmäßig teilnehmen, sind inzwischen sogar zusammengewachsen. Auch wenn ein Mitglied der Runde stirbt, so wird gemeinsam für den Verstorbenen gebetet.

Doch nicht nur die Betroffenen profitierten von dem niedrigschwelligen Glaubensangebot: Auch junge, kaum noch praktizierenden Christen, sei es aus Reihen der Angehörigen oder der jungen Praktikanten und Mitarbeiter, fühlten sich angesprochen. „Das finden wir sehr positiv“, erklärt Kesting. Gerade nach dem Zukunftsbild des Erzbistums sei es selbstverständlich, dass auch das Caritas Seniorenzentrum ein pastoraler Ort sei. Viele Menschen, die sich im Glauben kaum auskennen, nutzten die Gelegenheit, um ihre Fragen zu stellen. „Mein Kind soll getauft werden, wie mache ich das – solche und ähnliche Fragen begegnen uns immer wieder“, sagt Hölker. Dann werde aufgeklärt und die richtigen Kontakte vermittelt. Sie ist als Seelsorgerin auch für die Caritas-Mitarbeiter mehrerer Einrichtung zuständig. So kann sie überall helfen, in der Seelsorge und als Ideengeber.

„Wir verstehen uns hier selbstverständlich als Ort der Religion, der Caritas“, sagt Kesting. Daher gehe die Einrichtung auch offensiv hi­naus oder lade zu sich ein: Zuletzt hat das Seniorenzentrum mit einem beeindruckenden Beitrag an der Nacht der offenen Kirchen teilgenommen. Aber auch Konzerte und Ausstellungen bereichern das Leben in St. Bonifatius und laden Interessierte zum Kommen ein. Zusätzlich gebe es Kooperationen, etwa zu den Maiandachten: Dann bereite die kfd der Gemeinde den Gottesdienst mit vor. Dabei komme es vor, dass persönliche Dinge – wie das uralte Marienbildnis der Großmutter – zur Freude aller mitgebracht werden. Ein Ort des Glaubens für alle – das trifft in St. Bonifatius zu.

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