29.11.2018

„Ein gemeinsames humanistisches Erbe“

Navid Kermani Paderborn. Foto: Flüter

„Religiöse Minderheit – kultureller Mehrwert. Wie prägt Religion Europa?“ war das Thema eines großen Kongresses, zu dem das Bonifatiuswerk und die KatHo NRW gemeinsam geladen hatten. Zu den Referenten zählte der der gebürtige Siegener Navid Kermani. Für den Dom sprach Karl-Martin Flüter mit ihm.

Sie sagen, die Aufklärung sei trotz ihrer Religionskritik auch ein Erbe des Christentums. Worin erkennen Sie dieses Erbe?

Die Aufklärung bildete eine eigene Kultur, indem sie sich von der kirchlich verfassten Gesellschaft abgrenzte. Aber in dieser Abgrenzung hat man vieles aus dem Christentum übernommen, etwa die der Gleichheit aller Menschen. Die Französische Revolution war ja selbst von einem fast religiösen Furor. Robespierres Anmaßung, zu bestimmen, was richtig ist, hatte religiöse Anmutungen.

Das ist die ungute Seite des religiösen Erbes, das sich bis in die Diktaturen hineinzieht: dass man den Menschen vorschreiben will, wie sie zu leben haben.

Es ist nicht so, dass das Gute an der Moderne auf das Christentum zurückgeht und das Schlechte auf das Säkulare. Die Vorstellung, die Geschichte habe ein Ziel, ist auch ein christliches Erbe. Wenn man so denkt, kann man alles diesem Ziel, dieser Zukunft unterordnen und die aufopfern, die der Verwirklichung im Wege stehen. Auch das Missionarische der Religionen lebt weiter. Im Guten wie im Bösen spielt die christliche Denktradition in die Moderne bis in die atheistischen totalitären Ideologien hinein.

Die christlichen Einflüsse in der Gesellschaft bestehen also weiter, auch wenn die Kirchen an Einfluss verlieren?

Ja, so ist es. Und hoffentlich bestehen sie fort, denn wenn das nicht so wäre, dann hätten wir die uneingeschränkte Ideologie des Marktes und der bloßen Funktionalität.

Wenn nur das zählt, was Geld bringt und funktioniert, erst dann wäre das religiöse Erbe vollends beseitigt. Die Ablehnung dieser durchökonomisierten Gesellschaft verbindet Aufklärung und Religion, also die Menschen, die sich als Humanisten verstehen, und die, die sich als Gläubige verstehen.

Es handelt sich um die Gegenwehr eines gemeinsamen humanistischen Erbes gegen die Doktrin der Funktionalität. Die Menschen sollen nicht nur nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen bewertet werden. Das entspricht nicht ihrer Würde.

Weitere ausführliche Berichte über den Kongress in Wort und Bild finden Sie in der Print-Ausgabe des Dom Nr. 48 vom 2. Dezember 2018. Bestellen Sie unverbindlich ein kostenloses Exemplar: vertrieb@derdom.de

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