„Ein Hoffnungszeichen“ – Pastoraltheologe Matthias Sellmann im Gespräch

Immer und überall bergab? Das ist kein Naturgesetz, es geht auch anders. (Foto: Pixabay)

Die Kirche steckt in der Krise. Es gibt Menschen, die wollen sich damit nicht abfinden. Mehr als 500 von ihnen treffen sich nun zur „dennoch.“-Konferenz. Dort können sie moderne Methoden für ­Innovation in Gemeinden kennenlernen. Der Pastoraltheologe Matthias Sellmann ist einer der Organisatoren. 

Herr Prof. Sellmann, warum machen Sie die „dennoch.“-­Konferenz?

Matthias Sellmann: „In den vergangenen Jahren spüren wir alle in der Kirche sehr viele enttäuschende, negative Entwicklungen: Die Pfarrverbände werden immer größer. Die Bistümer haben Schwierigkeiten, Priester zu finden. Wir hören schlimme Nachrichten über sexuellen Missbrauch. Wir lesen von Kirchenaustrittsrekorden. All das belastet die Menschen, denen die Kirche am Herzen liegt. In diese Stimmung hi­nein wollen wir ein Hoffnungszeichen setzen.“

Wie soll das gehen?

Matthias Sellmann: „Wir sind froh, dass der Syno­dale Weg die strukturellen Pro­bleme der Kirche bearbeitet. Bei der Konferenz wollen wir den Mut, die Tatkraft und die Hoffnung der Menschen stärken, die wir gerade jetzt brauchen. Wir wollen kein Happening feiern und keine billige „Jesus liebt dich“-­Stimmung erzeugen. Sondern die Probleme ernst nehmen und in der allgemeinen Verunsicherung an das erinnern, wofür es sich lohnt, weiterzumachen. So ist der Titel „dennoch.“ zustande gekommen.“

Was soll er bedeuten?

Matthias Sellmann: „Wir haben uns gefragt: Welches Wort bringt die positive Energie, die wir vermitteln wollen, aber auch den Realismus, den man in diesen Zeiten haben muss, am besten auf den Punkt?“

So sind Sie bei „dennoch.“ gelandet?

Matthias Sellmann: „Genau. „Dennoch“ bedeutet etwas anderes als „trotzdem“. Der Unterschied ist hauchdünn, aber er ist wichtig. Wenn jemand „trotzdem“ sagt, ist er in einer negativen Weise fixiert auf das, was er überwinden will. „Dennoch“ ist positiver und konstruktiver. Eine „dennoch“-­Stimmung hat ihren Frieden mit der Krise geschlossen, die wir gerade durchmachen – weil sie weiß, es gibt etwas Stärkeres als diese Krise.“

Was passiert bei der Konferenz konkret?

Matthias Sellmann: „Die Konferenz soll den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine vierfache Krafterfahrung bieten. Erstens zeigt sie ihnen die Kraft der Weite. Thomas Arnold …“

… der Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-­Meißen …

Matthias Sellmann: „… erklärt: Warum ist Kirche für eine moderne Gesellschaft wichtig? Und wie hilft unser Christsein der Demokratie? Zweitens geht es um die Kraft der Tiefe. Es wird eine ausführliche Möglichkeit geben, über die Frage nachzudenken: Wa­rum engagiere ich mich in der Kirche? Was fasziniert und motiviert mich in der Kirche? Wem bin ich dort dankbar? Drittens geht es um die Kraft der Professionalität. Wir stellen in 25 Workshops neue handwerkliche Ideen und Methoden vor und bilden die Leute ganz praktisch weiter. Und viertens geht es um die Kraft der Sendung. Wir feiern starke Liturgien und hören beeindruckende Zeugnisse, die uns helfen sollen, motiviert zurück in unsere Orte und Gemeinden zu gehen.“

Konkret anwendbar klingen für mich vor allem die Workshops. Um welche Fragen geht es da?

Matthias Sellmann: „Es geht um Fragen wie: Wie finde ich meine Zielgruppen – und wie komme ich mit ihnen in Kontakt? Wie kann Kirche sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren und sie begeistern? Wie erschließen wir neue Geldquellen für unsere Pfarrei?“

In vielen Gemeinden gibt es eingefahrene Strukturen und Denkweisen, auch bei Ehrenamtlichen. Gibt die Konferenz Tipps, um auch dieses Problem zu überwinden?

Matthias Sellmann: „Ja. Wir haben Workshops zur Frage: Wie beginne ich einen Innovationsprozess? Auf welche typischen Blockademuster treffe ich da? Wie argumentiere ich überzeugend für meine Vorhaben? In einem Workshop geht es auch um die Frage: Wie heben wir die Talente in unserer Gemeinde?“

Was könnten da Antworten sein?

Matthias Sellmann: „Ich habe dazu selbst in den USA ein schönes Beispiel erlebt. Da waren ein paar alte Damen, die konnten super stricken. Und sie haben Fürbitten gestrickt.“

Ernsthaft?

Matthias Sellmann: „Ja! Das hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber ich fand das wunderbar. Die Damen waren in einem Strickklub und sie haben gesagt: Wir können nicht mehr groß rumlaufen und riesige Menschenmengen begeistern, aber wir können zusammen stricken. Gebt uns die wichtigsten Fürbitten!“

Und dann?

Matthias Sellmann: „Dann hat die Gemeinde ihnen Fürbitten gegeben. Zum Beispiel die Fürbitte einer Frau: „Ich bete für meine kranke Tochter, die hat eine schwierige OP.“ Die Damen haben dann einen Gebetsschal gestrickt, auf dem die Fürbitte stand: „Gott, gib Segen für die Operation von ­Kathy Miller.“ Und während sie gestrickt haben, haben sie ein Gesätz des Rosenkranzes für ­Kathy gebetet. Der Schal wurde im nächsten Gottesdienst über den Altar gehängt. Für die Frau, die da­rum gebeten hatte, war das sehr bewegend. Und mir hat es gezeigt: Jeder Mensch kann etwas einbringen.“

Matthias Sellmann leitet an der Ruhr-­Universität in Bochum das von ihm gegründete Zentrum für angewandte Pastoral­forschung (ZAP). (Foto: KNA)

Was passiert mit den Tipps aus den Workshops?

Matthias Sellmann: „Wir haben jede Workshop-­Leitung gebeten, uns vorab drei Tipps zu geben – damit aus den 25 Workshops zumindest schon mal 75 konkrete Tipps rauskommen. Die Tipps drucken wir auf Postkarten und hängen sie an eine Wand. Dazu gibt es Blanko-­Postkarten, auf denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre eigenen Tipps ergänzen können. Jeder kann sich Karten abnehmen und so eine ganze Handwerkskiste von Verbesserungsideen mit nach Hause nehmen.“

Wie wollen Sie es schaffen, dass die Tipps nicht nur schöne Theorie bleiben, sondern auch die Alltagspraxis in den Gemeinden prägen?

Matthias Sellmann: „Ich glaube, wenn die Konferenz richtig gut läuft, sind wir danach alle ein bisschen widerstandsfähiger als davor. Wir lassen uns leichter faszinieren und weniger leicht frustrieren – auch wenn’s zu Hause mal schwierig ist. Wir lassen uns begeistern von unserer Gottesgeschichte und unserem Glauben.“

Das klingt ja fast romantisch.

Matthias Sellmann: „So ist es aber nicht gemeint. Unsere Konferenz soll gerade kein romantisches Meeting werden, in das man sich drei Tage flüchtet, um dann wieder in die graue Realität zurückzukehren. Sondern sie soll sich an der Realität orientieren. Und die Realität ist: Die Kirche durchlebt gerade eine äußerst schwierige Zeit. Und wenn die Verantwortlichen in nächster Zeit ihren Job nicht gut machen und endlich strukturelle Reformen beschließen, dann können wir noch so viele „dennoch.“-­Konferenzen veranstalten und es wird nichts bringen. Aber wir brauchen eben auch Orte, an denen wir Kraft tanken und Kräfte bündeln – und unsere Konferenz soll einer dieser Orte sein.“

In vielen Gemeinden schrumpft die Zahl der Hauptamtlichen und der Ehrenamtlichen massiv. Wie soll die Konferenz da helfen?

Matthias Sellmann: „Wenn das Konzept unserer Konferenz aufgeht, wird ihre Botschaft hoffentlich öffentlich stark wahrgenommen und verbreitet. Und die Menschen bringen die konstruktiven Ideen in ihre Freundeskreise, Büros und Nachbarschaften. Sie sagen: „Ich habe wieder Lust, in dieser Kirche zu sein.“ Die Konferenz ist eine große Motivationsspritze für alle, die dabei sind – und für ihre Umgebung.“

Das klingt sehr optimistisch, nachdem im vergangenen Jahr mehr als 500 000 Menschen aus der katholischen Kirche in Deutschland ausgetreten sind.

Matthias Sellmann: „Klar ist: Wir können mit der Konferenz nicht die Kirchenkrise wegzaubern. Dafür muss viel mehr passieren. Es müssen auf dem Synodalen Weg ­entscheidende Reformen kommen. Aber wir können uns unterei­nander neu motivieren und uns klarmachen, wie wertvoll unsere Kirchenmitgliedschaft ist und welchen Wert die Kirche für ­unsere Gesellschaft haben kann.“

Zu Ihrer Konferenz kommen auch Teilnehmer aus dem Ausland: aus Belgien, den Niederlanden, Norwegen, Frankreich. Was können wir Deutsche von denen lernen?

Matthias Sellmann: „Sie werden die Konferenz beleben. Der französische Theologe ­Arnaud Join-­Lambert zum Beispiel bietet einen Workshop an, in dem er ein Forschungslabor für kirchliche Innovation vorstellt. Der Trondheimer Bischof Erik ­Varden wiederum kann aus einer starken Diaspora-­Erfahrung berichten. Von unseren ausländischen Gästen können wir lernen, wie andere Kirchen unter anderen Bedingungen funktionieren.“

Was bringt das?

Matthias Sellmann: „Das erhöht, glaube ich, die Bereitschaft zu sagen: Auch unsere Bedingungen können sich verändern – und wir können trotzdem auch dann immer noch in guter Weise katholisch bleiben.“

Was meinen Sie damit?

Matthias Sellmann: „Zum Beispiel: Man muss keine Kirchensteuer haben. Man muss keine riesigen Kirchengebäude haben. Und man muss auch nicht überall Priester haben, um in guter Weise katholisch zu sein. Es ist übrigens total wichtig, dass wir auch evangelische Gäste haben, weil man bei ihnen sieht: Dass Frauen Priester werden können, ist ganz normal und dadurch bricht nicht die Kirchenwelt zusammen. All diese Einblicke weiten den ­Horizont.“

Mit Matthias Sellmann sprach Andreas Lesch

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