Ein Weg aus der Schuldknechtschaft
Andrés Rodríguez mit seinem Vater Andrés Rodríguez Gomez und seiner Mutter Rosa Hernandez Perez.
Als Tagelöhner auf den Plantagen der Kaffeebarone schuften: Das war für Andrés Rodríguez vom Volk der Tzeltal im Süden Mexikos noch bittere Wirklichkeit. Sein Sohn und seine Tochter arbeiten heute gut ausgebildet in der Kooperative der Jesuitenmission Bachajón, die durch das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat gefördert wird.
von Sandra Weiss
„Für die Maya war der Honig ein Elixier Gottes“, sagt Iván Robledo mit leuchtenden Augen. Er deutet auf eine Reihe goldgelb leuchtender Gläser. Der Honig stammt aus den Kaffeehainen im Süden Mexikos und wurde von Bauern der Kooperative „Chabtic“ eigenhändig gesammelt und geschleudert. Probiert man einen Löffel, glaubt man dem Imker sofort. Doch beim edlen Rohmaterial, das seine Bienen gesammelt haben, fängt es erst an. Honig mit Ingwer, mit Kardamom, mit scharfem Chili oder mit grünem Apfel – Robledo reicht die von ihm erfundenen Kreationen auf winzigen Plastiklöffeln herum und freut sich riesig über die „Mhhhs“ und „Ahhs“ seiner Besucher.
Aus dem Versuch indigener Kaffeebauern, ihr Einkommen zu verbessern, ist in kürzester Zeit ein Verkaufsschlager geworden: „Innerhalb von drei Jahren haben wir unseren Absatz verdreifacht“, sagt Robledo. In Supermärkten der Region und an katholischen Universitäten wird die Marke vertrieben. 13 Tonnen Honig verarbeitet die Kooperative, der derzeit 33 Imker angehören. Geht es nach Robledo, werden es bald noch mehr. Pollen, Bienenwachs und Propolis, die als gesundheitsförderndes Mittel bei Entzündungen und Verletzungen eingesetzt wird, sind Produkte, um die er die Palette erweitern will. „Früher verkauften wir den Honig an die Zwischenhändler, die uns über den Tisch gezogen haben. Diese Zeiten sind nun zum Glück vorbei.“
Padre Arturo Estrada freut sich über den Eifer – muss aber auch manchmal bremsen. Gut Ding will Weile haben, und die kollektiven Entscheidungs- und Lernprozesse der indigenen Bauern brauchen ihre Zeit – ebenso wie ordentliche Marktstudien. Davon ist der Leiter der Jesuitenmission von Bachajón überzeugt, die bereits seit vielen Jahren vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt wird. Ist aber einmal ein Beschluss gemeinsam gefasst, ziehen alle an einem Strang. Es sind Erfahrungen aus über 60 Jahren kirchlicher Arbeit in dieser armen, abgelegenen Gegend im Süden Mexikos. In all den Jahren haben die Jesuiten die Indigenen vom Volk der Tzeltal hier begleitet – aus der Schuldknechtschaft und dem Tagelöhnerdasein in eine florierende Kooperative. „Tic“ heißt „unser“ auf Tzeltal, und das ist inzwischen zu einer anerkannten Marke geworden. Der Honig ist nur ein kleiner Teil davon. „Angefangen hat es mit dem Kaffee“, erzählt Estrada.
Kaffee war das bestimmende Erzeugnis dieser Region – und gleichzeitig ein Symbol der Ausbeutung. Das Wissen um die Verarbeitung blieb den Kaffeebaronen vorbehalten. Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sie sich in dieser Gegend niedergelassen, unter ihnen auch deutsche Einwanderer wie die Familien Edelmann und Giesemann. Die Tzeltales standen auf der untersten gesellschaftlichen Stufe: erst als Tagelöhner, später – als sie im Zuge diverser Landreformen eigenen Grundbesitz bekamen – als Zulieferer billigen Rohmaterials an die Zwischenhändler. „Sie hatten keinerlei Kontrolle über den Preis und waren der Willkür ausgeliefert“, erklärt Estrada.
„Wir konnten davon gerade einmal so überleben“, sagt Andrés Rodríguez. Der 20-Jährige arbeitet als Techniker in der Kaffeekooperative „Capeltic“, die ihren starken Kaffee bis nach Japan exportiert. Gleichzeitig studiert Andrés in Abendkursen Betriebswirtschaft. Sein Vater schuftete noch in Schuldknechtschaft und war Analphabet, bis er dank der Bibelkurse der Jesuitenmission Lesen und Schreiben lernte. Vater Andrés Rodríguez gehörte vor 15 Jahren zu den Gründungsmitgliedern von „Capeltic“ und verkauft noch immer den Ertrag seiner drei Hektar an die Kooperative – ebenso wie mehr als 300 weitere Bauern aus 50 Gemeinden. „Wir bekommen dafür etwas mehr Geld als bei den Zwischenhändlern, aber noch viel wichtiger sind die Kredite, die Schulungen und dass wir wissen, was aus unseren Kaffeebohnen gemacht wird“, sagt sein Sohn stolz. Besonderen Spaß hat er derzeit an der Arbeit in der hauseigenen Kaffeebar, wo er den Kaffee als schaumigen Cappuccino oder cremigen Mokka zubereitet.
Die Kontrolle von der Ernte über den Produktionsprozess bis hin zum Endprodukt empfindet auch seine Schwester Manuela als einen großen Vorteil der Kooperative. Sie arbeitet bei „Xapontic“, dem Zweig, der handgefertigte Seifen herstellt. Die Seifen und die Fertigung von traditionellen Textilien und Kunsthandwerk sind die Domänen der Frauen. Traditionell standen sie im Schatten der Männer, waren für Haus, Gemüsegarten und Kinder zuständig. Dass Mädchen länger als vier, fünf Jahre zur Schule gehen oder gar einen eigenen Beruf ergreifen und Geld verdienen, war bis vor einer Generation noch undenkbar.
Die Frauen waren oft auf sich allein gestellt. Viele Männer verdingten sich monatelang als Tagelöhner oder wanderten ab in die Fertigungsbetriebe im Norden Mexikos, wo mehr Geld zu verdienen war. „Es ist wichtig und eine Quelle des Selbstbewusstseins, wenn wir Frauen unser eigenes Geld verdienen“, erzählt die 26-jährige Manuela. Als eine der ersten Frauen der Kooperative hat sie Abitur gemacht und ist für Vertrieb und Qualitätskontrolle zuständig.
Ob in der Honigfabrik, der Kaffeerösterei, der Näherei oder bei der Seifenherstellung – es herrscht eine ruhige, entspannte Atmosphäre, fernab vom Diktat der Stechuhren und der Börsenkurse. „Ich schaffe und verkaufe eigene Kreationen, das erfüllt mich mit Stolz“, sagt die Näherin Eustachia Pérez, ohne von ihrer alten Nähmaschine aufzublicken, um ja keinen falschen Stich zu setzen. „Natürlich verdiene ich auch mehr Geld. Aber vor allem bin ich glücklich, dass man schätzt, was ich bin und was ich kann.“
Es ist nicht die Gewinnmaximierung, der alles unterworfen ist, sondern die Suche nach einem selbstbestimmten, würdigen Leben, in dem die Arbeit Sinn stiftet und Freude macht. Und es geht um kollektive Lernprozesse, einen Bruch mit dem Paternalismus, der die Region so lange prägte. „Das ist Nachhaltigkeit“, sagt Padre Arturo Estrada.
Weitere Fotos und Infos finden Sie im Dom Nr. 49 vom 10. Dezember 2017