21.04.2017

Einladende und werbende Kirche

Chicago – nicht nur wegen ihrer Skyline, sondern auch durch ihre Vielfalt beeindruckend. Foto: Röttger

Paderborn. Insgesamt etwa neun Monate ist Pfarrer Dietmar Röttger als Kundschafter für das Erzbistum Paderborn in den USA und in Frankreich unterwegs. Nach seiner Rückkehr aus Chicago machte er einen Zwischenstopp in Paderborn und berichtete über seine Erfahrungen in der US-Metropole.

von Matthias Nückel

„Die Kirche in den USA ist stärker eine einladende und werbende Kirche“, erzählt Pfarrer Röttger. So gebe es vor dem Gottesdienst eine Art Kennenlernphase, während dieser besonders die neuen Gottesdienstteilnehmer willkommen geheißen werden. „Die Menschen werden auch aufgefordert, sich zu begrüßen“, so Röttger weiter. „Aber zur Begrüßung gehört auch, dass alle gebeten werden, ihre technischen Geräte auszuschalten.“Der Service-Gedanke wird in den amerikanischen Gemeinden groß geschrieben. Die Pfarrnachrichten bekommen alle Gottesdienstbesucher persönlich überreicht. Bei der Parkplatzsuche wird geholfen. Und auf den Kirchenbänken gibt es Zettel mit den Antworten für die Gebete, weil man davon ausgeht, dass dies nicht alle wissen. „Über allem steht die Frage: Was können wir für euch tun, damit ihr gut bei uns ankommt“, berichtet Röttger. H

intergrund für dieses besondere Bemühen ist zum Teil auch der starke Wettbewerb, in dem sich die katholische Kirche befindet. Die Menschen gehören nicht – wie etwa in Deutschland – nach der Taufe einer Pfarrgemeinde an. „Die Katholiken schreiben sich bei einer Pfarrei ein. Da muss man etwas tun“, sagt Dietmar Röttger. Die Pfarrgemeinde sei ein Anbieter unter vielen – auch unter anderen Konfessionen.

Ein Wechsel der Menschen zwischen den Konfessionen geschieht in den USA viel leichter als in Deutschland. „In einer Taufgruppe von Erwachsenen, die ich betreut habe, waren einige, für die war die katholische Kirche schon die dritte Anlaufstelle“, so Röttger. Die Flexibilität der Amerikaner, die während ihres Lebens nacheinander etwa zwei bis drei Häuser besitzen oder vier bis fünf Jobs haben, überträgt sich auch auf deren kirchliches Leben. „Die Kirche muss deshalb werbend auftreten, ohne dabei penetrant zu sein“, betont der Kundschafter.

Das Werben um die Menschen hat zudem auch etwas mit der Finanzierung der Kirche zu tun. Eine Kirchensteuer gibt es nicht. Die Kirche ist auf Spenden angewiesen. „Die finanzielle Unterstützung der Kirche ist Teil des aktiven Christentums“, meint Pfarrer Röttger. Und die Zahlen, die er nennt, sind beeindruckend: Die Chicagoer Pfarrgemeinde St. Benedict, der etwa 3 500 Familien angehören, kalkuliert mit einem wöchentlichen Kollektenaufkommen von 14 000 US-Dollar. Dreimal im Jahr finden zudem besondere Spendenaktionen statt, die insgesamt etwa 400 000 US-Dollar erbringen.

Hintergrund für solche Ergebnisse ist nach den Worten Röttgers die andere Kultur in den USA. Durch „Fundraising and Donations“ (Mittelbeschaffung und Spenden) wird vieles in den Vereinigten Staaten finanziert – zum Beispiel Theater oder Sport –, weil der Staat dies nicht macht.

„Die Gemeinde ist dadurch auch stärker eine finanzielle Solidargemeinschaft“, erläutert Röttger und fügt hinzu: „Und die Menschen sehen vor Ort, was mit dem Geld konkret geschieht.“ So werde etwa das Personal von der Gemeinde eingestellt und gebaut werde nur, wenn das Geld da ist. Die Diözese wiederum hängt am Tropf der Gemeinden. Zehn Prozent der Spenden werden an das Bistum weitergeleitet. E

ine ganz wesentliche Erkenntnis, die Röttger während seines Aufenthaltes in Chicago gewonnen hat, ist der in der Gemeindearbeit häufig auftauchende Begriff des „Stew­ardship“. Der Schlüssel zu diesem schwer ins Deutsche zu übertragenden Begriff seien wohl die „Verwalter“-­Gleichnisse Jesu im Evangelium und sein Auftrag, als gute Verwalter im Reich Gottes zu wirken, meint der frühere Leiter des Pastoralverbundes Hüsten. „Stewardship“ bedeute aktives Christentum der Tat – „nicht nur reden, sondern Zeit, Gaben und Geld einbringen“.

Die Nachfolge Jesu bekomme dadurch einen handfesten Ausdruck. Jeder bringt sich so in die Gemeinde ein, wie er selbst kann. Der eine verteilt zum Beispiel die Gesangbücher vor der Messe. Wer nicht so viel Zeit hat, gibt Geld. „Die Grundmelodie ist: Wenn du dich einbringst, dann bist du etwas.“ Die Aufgaben werden klein angesetzt. Aber jeder mache in den Augen der anderen einen „great job“ (großartige Arbeit) – ganz gleich, ob er nur Pfarrbriefe verteilt oder 100 000 Dollar spendet. „Die Amerikaner sagen sehr schnell, dass etwas gut ist, manchmal zu schnell“, so Röttger. „Aber sie sind nicht so sehr auf das Negative fixiert wie die Menschen in Deutschland.“

Das „Stewardship“ sei zudem eine beständige Ermutigung zu tätigem Christentum. Es sei nur „schön, dass wir darüber gesprochen haben“, sondern die letzte Frage sei

immer: „Wie übersetzen wir das Gesagte ins Tun?“, erläutert Pfarrer Röttger. „

Stew­ard­ship hängt für mich aber die Latte für ehrenamtliches Tun gefühlt nicht so hoch und gründet es geistlich. Steward­ship setzt an den Möglichkeiten des Einzelnen an und wertschätzt auch die kleinen Dinge als Ausdruck für einen guten Verwalter des Reiches Gottes“, fasst der Kundschafter zusammen.

Dazu gehört auch die Einstellung, „als Christen wollen wir Gutes tun“. Deshalb ist der soziale Bereich in der Kirche stark ausgeprägt. So werden im Pfarrhaus täglich etwa 20 Lunchpakete ausgegeben und beim Weihnachtsessen für etwa 300 Bedürftige haben ganze Familien sich am ersten Weihnachtstag die Zeit genommen, um mitzuhelfen, nennt Dietmar Röttger zwei Beispiele. „Der Charity-Gedanke ist sehr intensiv, zumal es in den USA auch sehr viele Arme gibt.“ Darüber hinaus unterstütze die eher wohlhabende St.-Benedict-Gemeinde auch ärmere Pfarreien.

Neben der Willkommenskultur und dem „Stewardship“ ist der Begriff der Jüngerschaft eine weitere wesentliche Erfahrung der Monate als Kundschafter. „Dies drückt aus, dass man in einer lebenslangen Beziehung zu Christus steht.

Aus der Glaubenspraxis seien ihm drei Dinge neu klar geworden, schreibt Röttger in seinem „Korb an Früchten“, die er zusammengetragen hat. Der erste Punkt betreffe das Gebet. Diese Einsicht fasst er in dem Satz zusammen: „Gebet ist persönlich, aber nicht privat.“ Die Kraft von Gebeten, die frei formuliert in der Gemeinschaft gesprochen werden und die persönliche Anliegen aufgreifen, habe er neu erfahren dürfen. Der zweite Punkt betreffe das Bußsa­krament. Er habe erleben können, dass dies in einer gewissen Selbstverständlichkeit gelebt werden könne und Menschen wirklich Stärkung im Glauben und Leben gebe. „In der hier erlebten Praxis mit Jugendlichen wie Erwachsenen war es erfrischend normal, zu beichten.“

Als dritten Punkt unterstreicht Röttger die Bedeutung von „Role-Models“, also von Vorbildern im Leben. So hätten Firmbewerber in St. Benedict klar benennen können, wer für sie „Role-Model“ in bestimmten Lebensfragen sei. „Die eigene Frage, welche Menschen für mich persönlich Role-Models sind oder waren und was andere sich an mir abschauen können, zeigt die große Bedeutung von glaubhaftem Lebenszeugnis in Wort und Tat“, schreibt Pfarrer Röttger und fügt hinzu: „Es verstärkt die Einsicht, dass in der Kirche ohne den Grund einer gelebten Glaubenspraxis aller Getauften die pastoralen Konzepte ins Leere greifen.“

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