28.02.2019

„Erdkreis“ statt Erde

Foto: kna

Mit Beginn des neuen Kirchenjahres und des neuen Lesejahres C ist die revidierte Bibelübersetzung auch offiziell im liturgischen Gebrauch. Prof. Egbert Ballhorn vom Institut für katholische Theologie an der Technischen Universität Dortmund war daran beteiligt. In lockerer Folge stellt er auf dieser Seite einzelne Veränderungen vor. Dieses Mal blickt er auf den übernächsten Sonntag.

Am ersten Fastensonntag wird wieder das Evangelium von der Versuchung Christi gelesen werden: In drei Visionen stellt der Teufel Christus auf die Probe. Vielleicht aber lässt ein einziges neues Wort die Hörerinnen und Hörer im Gottesdienst aufhorchen: „Da führte ihn der Teufel hinauf und zeigte ihm […] alle Reiche des Erdkreises“ (Lk 4,5). „Erdkreis“ – ein ungebräuchliches Wort. Niemand benutzt es in seiner Alltagssprache. In der bisherigen Einheitsübersetzung hieß es auch schlicht „alle Reiche der Erde“. Das zugrundeliegende griechische Wort „oikumene“ weist in eine andere Richtung, es meint nicht die Welt an sich, sondern die von Menschen bewohnte Erde. Es geht also um Menschenwelt und Zivilisation. Spannend wird dieser Begriff, wenn man ihn durch das ganze Lukas­evangelium verfolgt, in dem er drei Mal vorkommt. Zum ersten Mal ganz prominent in der Weihnachtsgeschichte. Vielleicht sind ja manche in der Christmette zusammengezuckt, als sie vergangenes Weihnachtsfest statt des bisherigen Wortlautes „In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen“ (Lk 2,1) hörten: „Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen“. Mit seiner Wortwahl „Erdkreis“, die in der neuen Übersetzung wieder sichtbar wird, äußert Lukas deutliche Herrschaftskritik: Die Römer setzen ihren Herrschaftsbereich, ihr Reich, mit der ganzen bewohnten Welt gleich. Sie haben den Anspruch, dass ihnen „alles“ gehört. Und der Teufel macht in der Versuchungsgeschichte gleich weiter, er zeigt Jesus „alle“ Königreiche des „Erdkreises“, die zu vergeben er vorgibt. Gegen diese menschenunterdrückenden Mächte, die die Macht in der Welt haben oder es nur vermeinen, setzt Lukas die Königsherrschaft Gottes. Das wird besonders an der dritten Stelle deutlich, in der im Lukasevangelium vom „Erdkreis“ gesprochen wird. Wenn Jesus über das Kommen des Menschensohnes spricht, so heißt es dort: „Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen. Wenn dies beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung ist nahe“ (Lk 21,26.28). Wenn der Menschensohn als Erlöser kommt, dann wird die Welt verwandelt. Das macht den Menschen erst einmal Angst, denn es zeigt, dass nicht sie selbst bzw. ihre Mächtigen die Herrscher über den „Erdkreis“ sind, sondern Gott allein.

Durch die Stichwortverknüpfung „Erdkreis“ werden im Lukasevangelium so ganz nebenbei zwei vermeintliche Herrscher entmachtet (der römische Kaiser und der Teufel) und Gott als der dargestellt, der die gesamte bewohnte Menschenwelt in seiner Hand hält. Das ist nur ein winziger Baustein im Universum der lukanischen Theologie, er kann aber zeigen, worin der Gewinn der neuen Einheitsübersetzung liegt – auch im unscheinbaren Wortlaut. Die herrschaftskritische Botschaft ist durchaus aktuell in unseren Tagen.

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